Der Besucher - Roman
geschenkt hat. Er bekam ein Körbchen auf den Rücken geschnallt, da hat sie dann ihre Scheren, Fingerhüte und so weiter reingelegt und das Tier an einer kleinen Leine mit sich herumgeführt.«
»Ich bin sicher, dass wir auch einen Affen für dich finden könnten, wenn du einen haben möchtest!«
»Ach, so etwas könnte man doch heutzutage gar nicht mehr machen«, sagte Mrs. Ayres und setzte ihre Brille auf. »Irgendeine Vereinigung würde das doch sofort verbieten – oder Herr Gandhi persönlich würde Einwände erheben. Wahrscheinlich haben die Affen in Indien inzwischen schon Wahlrecht! Danke, Betty.«
Der Anflug von Atemnot war vergangen, und ihre Stimme klang fast wieder normal. Sie fand die gesuchte Briefstelle und las sie laut vor. Es handelte sich um einen guten Rat, den ihre Schwester von einem Abgeordneten der Konservativen erhalten hatte, der sich sehr besorgt über das Auseinanderbrechen der alten Landgüter äußerte. Tatsächlich bestätigte der Brief bloß, was wir bereits wussten: dass es für Grundbesitzer auf dem Lande nur zusätzliche Gebühren und Einschränkungen geben würde, solange die gegenwärtige Regierung an der Macht war, und dass dem niederen Adel nicht viel anderes übrig blieb, als bis zur nächsten Wahl »auszuharren und den Gürtel enger zu schnallen«.
»Das ist ja gut und schön für diejenigen, die einen Gürtel haben«, meinte Caroline, als ihre Mutter den Brief fertig vorgelesen hatte. »Aber wenn man nicht einmal eine Schnalle besitzt? Es wäre doch schön, wenn man seinen Besitz in eine Art Dornröschenschlaf versetzen könnte, in der Hoffnung, dass in ein paar Jahren eine tapfere konservative Regierung daherkommt und sich durch die Dornen schlägt! Aber wenn wir auch nur ein Jahr auf Hundreds ausharren, ohne etwas zu tun, würden wir untergehen! Ich wünschte fast, der Grafschaftsrat wollte noch mehr von unserem Land haben. So etwa fünfzig weitere Häuser würden vielleicht reichen, um unsere Schulden abzuzahlen …«
Wir diskutierten noch eine Zeit lang niedergeschlagen über dieses Thema, bis Betty das Teetablett hereinbrachte. Dann verfielen wir in Schweigen und hingen jeder unseren eigenen Gedanken nach. Mrs. Ayres rang immer noch ein wenig um Atem, seufzte gelegentlich und hustete in ihr Taschentuch. Caroline blickte immer wieder zum Schreibtisch hinüber und war mit ihren Gedanken vermutlich beim Niedergang des Gutshofes. Ich saß mit der warmen Porzellantasse in der Hand da, blickte von einem Gegenstand zum nächsten und musste – aus welchem Grund auch immer – an meinen ersten Besuch in diesem Zimmer denken. Ich erinnerte mich an Gyp, der wie ein gebeugter alter Mann auf dem Boden gelegen hatte, während Caroline mit dem nackten Fuß durch sein Fell fuhr. Ich sah Rod vor mir, wie er sich lässig gebückt hatte, um den Schal seiner Mutter vom Boden aufzuheben. Mit meiner Mutter ist es immer wie bei einer Schnitzeljagd. Wo sie geht und steht, hinterlässt sie eine ganze Spur von Dingen. Nun waren sowohl er als auch Gyp fort. Die Terrassentür, die zu jenem Zeitpunkt offen gestanden hatte, war nun wegen der bitteren Kälte geschlossen; ein flacher Paravent war davorgestellt worden, um die schlimmste Zugluft abzuhalten, doch leider hielt er auch etwas Tageslicht ab. Es roch immer noch etwas verbrannt; Rußpartikel waren bis hierher geflogen und überzogen die Stuckwände mit schmierigen Schatten. Zudem roch es im Zimmer nach feuchter Wolle, denn ein paar regennasse Kleidungsstücke Carolines waren auf einem altertümlichen Wäscheständer zum Trocknen vor den Kamin gestellt worden. Vor sechs Monaten hätte Mrs. Ayres wohl kaum zugelassen, dass der Salon als Waschküche zweckentfremdet wurde. Aber dann dachte ich an die sonnengebräunte, attraktive Frau, die an jenem Julitag in den irritierenden Schuhen aus dem Garten hereingekommen war, und betrachtete die Frau, die mir nun hustend und seufzend in ihren zusammengewürfelten Schultertüchern gegenübersaß, und mir wurde bewusst, wie sehr auch sie sich verändert hatte.
Ich blickte zu Caroline hinüber und bemerkte, dass sie ihre Mutter ebenfalls besorgt betrachtete, als hätte sie gerade den gleichen Gedanken gehabt. Unsere Blicke begegneten sich, und sie blinzelte.
»Wie trübselig wir doch heute alle sind!«, meinte sie, trank ihren Tee aus und stand auf. Sie trat an eines der Fenster und blickte hinaus, die Arme gegen die Kälte verschränkt und das Gesicht zum trostlos grauen Himmel gewandt. »Aber
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