Der Besucher - Roman
Moment wohnen sie noch bei der Mutter von dem Mädchen, zwei Zimmer bloß, drüben in Southam. Da können sie natürlich nicht auf Dauer bleiben. Eins von diesen Häuschen wär genau das Richtige für sie. Ein kleines Gärtchen hintendran, mit Gartenweg und Maschendrahtzaun. Und den Bus nach Lidcote wollen sie auch hierher umleiten, haben Sie das schon gehört, Herr Doktor? Über die Barn Bridge Road kommt er hier runter. Ab Juni, glaube ich.«
Er redete noch eine Zeit lang weiter, bis sein Polier ihn rief; dann entschuldigte er sich, reichte mir wieder seine Wurstfinger und ging. Caroline marschierte ein Stück weiter, um einem anderen Mann bei der Arbeit zuzusehen, doch ich blieb auf der betonierten Fläche stehen, ungefähr dort, wo ich das zukünftige Küchenfenster vermutete, und blickte durch den Park zum Herrenhaus hinüber. Von hier aus war es in der Ferne deutlich sichtbar, vor allem, da die dazwischenliegenden Bäume noch kahl waren; vom Obergeschoss dieses Hauses würde es erst recht sehr deutlich zu sehen sein, wie mir nun klar wurde. Ich konnte mir auch lebhaft vorstellen, dass die schwachen Drahtzäune am Ende der Grundstücke kaum geeignet sein würden, die Kinder der vierundzwanzig Familien aus dem Park fernzuhalten.
Ich trat zu Caroline, die am Rande einer Betonfläche stand, und wir plauderten kurz mit dem Mann, dem sie bei der Arbeit zugeschaut hatte. Ich kannte ihn recht gut, tatsächlich war er sogar ein entfernter Cousin mütterlicherseits. In der Dorfschule, auf die ich zunächst gegangen war, hatten wir an einem Pult gesessen und waren gute Freunde gewesen. Als ich dann auf das Leamington College wechselte, trübte das die Freundschaft, und einige Zeit lang hatten er und sein älterer Bruder Coddy mich eher drangsaliert. Sie lauerten mir auf und bewarfen mich mit Schotter, wenn ich spätnachmittags mit dem Fahrrad aus Leamington zurückgeradelt kam. Doch das war schon lange her. Inzwischen war er zum zweiten Mal verheiratet. Seine erste Frau und sein Kind waren gestorben, doch die beiden Söhne aus zweiter Ehe waren inzwischen erwachsen und kürzlich nach Coventry gezogen. Caroline erkundigte sich, wie es ihnen ging, und in dem breiten Warwickshire-Akzent – den auch ich einmal gesprochen hatte, was ich heute selbst kaum glauben konnte – berichtete er uns, dass sie in der Fabrik angefangen hatten und zusammen über zwanzig Pfund in der Woche nach Hause brachten. Ich wäre froh gewesen, wenn ich selbst so viel verdient hätte, und vermutlich war es auch mehr, als die Ayres im ganzen Monat zur Verfügung hatten. Trotzdem nahm der Mann immer noch seine Mütze ab, während er sich mit Caroline unterhielt – und mich blickte er scheu an und nickte mir verlegen zu, als wir weitergingen. Mir war klar, dass es ihm selbst nach so langer Zeit schwerfiel, mich »Doktor« zu nennen, doch genauso wenig kam es für ihn in Betracht, mich mit meinem Vornamen oder mit »Sir« anzusprechen.
So locker, wie ich konnte, rief ich: »Auf Wiedersehen, Tom.« Und Caroline sagte mit aufrichtiger Wärme: »Bis bald einmal, Pritchett. Es war schön, mit Ihnen zu reden. Ich freue mich, dass es Ihren Jungen so gut geht!«
Plötzlich wünschte ich, ohne recht zu wissen warum, sie hätte nicht diese lächerliche Mütze auf dem Kopf getragen. Als wir uns umwendeten und den Rückweg zum Herrenhaus antraten, bemerkte ich, wie Pritchett in seiner Arbeit innehielt und uns nachblickte – und womöglich auch seinen Kumpels einen vielsagenden Blick zuwarf.
Schweigend marschierten wir über das feuchte Gras und folgten unseren dunklen Fußspuren. Der Ausflug hatte uns beide nachdenklich gestimmt. Als Caroline schließlich sprach, redete sie mit heiterer Stimme, allerdings ohne mich dabei anzublicken:
»Babb ist ein richtiges Original, nicht wahr? Und was er über die Häuser erzählt hat, klingt doch wunderbar. Bestimmt eine gute Möglichkeit für Ihre weniger vermögenden Patienten.«
»Ja, bestimmt«, erwiderte ich. »Keine feuchten Böden und niedrigen Decken mehr. Ordentliche Sanitäranlagen. Getrennte Zimmer für Jungen und Mädchen.«
»Vernünftige Startbedingungen für die Kinder und so weiter. Und ganz wunderbar für Dougie Babb, wenn er endlich von seiner furchtbaren Schwiegermutter wegkommt … Ach, Herr Doktor …«, endlich schaute sie mich an und warf dann einen unglücklichen Blick über die Schulter zurück. »Ich würde am liebsten auch in einen dieser kleinen Ziegelkästen mit Wohnzimmer und
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