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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Unser Gespräch wandte sich dem Haus und den Gartenanlagen zu, und wir unterhielten uns über die besseren Zeiten, die das Haus erlebt hatte.
    Doch während wir redeten, blickte ich immer wieder zu dem Foto hinüber, und vermutlich wurde offensichtlich, dass ich mit den Gedanken woanders war. Der Tee war ausgetrunken. Ich ließ noch ein paar Minuten verstreichen, dann äußerte ich mit einem Blick auf die Uhr, dass ich mich nun wirklich auf den Weg machen müsse. Und während ich mich erhob, sagte Mrs. Ayres freundlich: »Sie müssen das Bild mitnehmen, Dr. Faraday. Ich möchte gern, dass Sie es behalten.«
    »Es mitnehmen?«, sagte ich überrascht. »Aber nein, das geht doch nicht!«
    »Doch, das müssen Sie. Nehmen Sie es mit, wie es da ist, mit Rahmen und allem Drumherum!«
    »Ja, bitte nehmen Sie es doch!«, sagte auch Caroline, meinen Widerspruch ignorierend. »Vergessen Sie nicht, dass ich die ganze Hausarbeit erledigen muss, während Betty sich erholt. Da bin ich froh, wenn ich eine Sache weniger abzustauben brauche!«
    »Danke!«, erwiderte ich, wurde rot und geriet fast ins Stottern. »Das ist sehr freundlich von Ihnen … Es ist … Wirklich, das ist außerordentlich liebenswürdig.«
    Sie suchten ein Stück gebrauchtes Packpapier heraus, in das ich das Bild einschlagen konnte, und ich verwahrte es sicher in meiner Tasche. Dann verabschiedete ich mich von Mrs. Ayres und tätschelte dem Hund den warmen Kopf. Caroline, die sich schon erhoben hatte, machte Anstalten, mich zu meinem Auto zurückzubegleiten. Doch dann meinte Roderick: »Lass nur, Caro. Ich bringe den Doktor hinaus.«
    Er kämpfte sich mühevoll vom Sofa hoch und verkniff dabei vor Schmerzen das Gesicht. Seine Schwester betrachtete ihn besorgt, aber er war offenbar entschlossen, mich zu begleiten. Also gab sie nach und reichte mir zum Abschied ihre abgearbeitete, wohlgeformte Hand.
    »Auf Wiedersehen, Dr. Faraday. Ich bin so froh, dass wir dieses Foto gefunden haben. Denken Sie an uns, wenn Sie es betrachten, ja?«
    »Das mache ich«, erwiderte ich.
    Ich folgte Roderick aus dem Zimmer und musste im dunklen Korridor die Augen zusammenkneifen. Er führte mich nach rechts, vorbei an einer Reihe geschlossener Türen, doch bald wurde der Korridor breiter und heller, und schließlich erreichten wir die Eingangshalle des Hauses.
    Hier musste ich erst einmal innehalten und mich umschauen, so schön war die Halle. Der Boden bestand aus schachbrettartig angelegten rosafarbigen und rotbraunen Marmorplatten. Die Wände waren mit blassen Holzpaneelen getäfelt und schimmerten rötlich von der Farbe des Bodens. Beherrscht wurde der Raum jedoch von einer Treppe aus Mahagoni, die sich im Karree über zwei Stockwerke schraubte und von einem durchgehenden polierten Geländer mit geschnitzten Schlangenköpfen gerahmt wurde. Sie bildete einen Treppenhausschacht, der gut und gerne viereinhalb Meter breit und sicher achtzehn Meter hoch war und von dem weichen, gedämpften Licht erhellt wurde, das durch die Milchglaskuppel oben im Dach hereinfiel.
    »Schöne Wirkung, nicht wahr?«, meinte Roderick, als er mich nach oben blicken sah. »Während der Verdunkelung war diese Kuppel natürlich ziemlich tückisch.«
    Er zog die breite Vordertür auf. Die Tür musste irgendwann einmal feucht geworden sein, hatte sich verzogen und kratzte nun mit einem scheußlichen Geräusch über den Marmorboden. Ich trat zu ihm auf den Treppenabsatz hinaus, und sofort legte sich die Hitze des Tages über uns.
    Er verzog das Gesicht. »Immer noch brütend heiß draußen. Ich beneide Sie nicht um die Fahrt zurück nach Lidcote … Was fahren Sie denn da für ein Auto? Eine Ruby? Wie fährt sie sich denn?«
    Das Auto war ein recht einfaches Modell, an dem es wenig zu bewundern gab. Doch Roderick gehörte offensichtlich zu der Sorte junger Männer, die sich für Autos interessieren, deshalb führte ich ihn zu meinem Wagen, wies auf ein paar kleine Besonderheiten hin und öffnete schließlich auch die Motorhaube, um ihm den Aufbau des Motors zu zeigen.
    Als ich die Motorhaube wieder schloss, sagte ich: »Auf den Landstraßen hier leidet der Wagen allerdings ziemlich.«
    »Das glaube ich gern. Wie weit fahren Sie denn so am Tag?«
    »An einem ruhigen Tag? Da habe ich etwa fünfzehn bis zwanzig Hausbesuche. An anderen können es schon mal mehr als dreißig werden. Die meisten sind hier in der Gegend, obwohl ich auch ein paar Privatpatienten in Banbury habe …«
    »Sie haben viel zu tun.«
    »Zu

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