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Der Besucher - Roman

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Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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ernst den Baker-Hydes die ganze Angelegenheit ist. Stattdessen hatten sie dem unliebsamen Vorfall den Rücken gekehrt und saßen hier, die Reihen geschlossen, ein Bollwerk gegen die Außenwelt. Genau wie bei meinem ersten Besuch spürte ich plötzlich einen Hauch von Abneigung aufkommen. Als die Irritation über Carolines Bemerkung sich wieder gelegt hatte, berichtete ich ihnen ohne große Umschweife von dem Gespräch, das ich mit Peter Baker-Hyde am Vormittag auf Standish geführt hatte.
    Mrs. Ayres hörte schweigend zu, hob die gefalteten Hände ans Gesicht und neigte den Kopf. Caroline blickte mich mit ungläubigem Entsetzen an.
    »Gyp töten?«
    »Es tut mir leid, Caroline. Aber können Sie es ihnen wirklich verübeln? Sie müssen doch damit gerechnet haben.«
    Ich glaube, sie hatte tatsächlich damit gerechnet. Ich konnte es in ihren Augen sehen. Doch sie sagte: »Natürlich habe ich das nicht!«
    Als Gyp den bestürzten Unterton in Carolines Stimme hörte, erhob er sich vom Boden. Er stand auf allen vieren und blickte sie verwirrt und ängstlich an, als wartete er auf ein Wort oder eine Geste, die es ihm erlauben würde, sich wieder hinzulegen. Sie beugte sich vor, legte eine Hand auf seinen Hals und zog ihn näher zu sich heran, dabei richtete sie ihre Worte wieder an mich.
    »Und was erwarten die sich davon? Was soll das nützen? Wenn Gyps Tod den Biss wie durch ein Wunder wieder rückgängig machen könnte, dann würde ich nicht lange zögern, ihn herzugeben. Mir wäre lieber, ich wäre gebissen worden, als diese letzte Nacht durchmachen zu müssen! Aber die wollen ihn doch bloß bestrafen – uns bestrafen. Das kann doch nicht ihr Ernst sein.«
    Ich sagte: »Ich fürchte, es ist den Baker-Hydes sehr ernst. Und sie wollen auch die Polizei einschalten.«
    »Oh, das ist ja fürchterlich!«, rief Mrs. Ayres und war kurz davor, die Hände zu ringen. »Ganz schrecklich! Und was, glauben Sie, wird die Polizei davon halten?«
    »Ich nehme an, dass sie die Angelegenheit ernst nehmen müssen, wenn ein Mann wie Baker-Hyde hinter der Beschwerde steckt. Noch dazu, wo es sich um eine so heikle Verletzung handelt.« Ich richtete den Blick auf Roderick, entschlossen, ihn ins Gespräch einzubeziehen. »Meinen Sie das nicht auch, Rod?«
    Er rückte unbehaglich in seinem Sessel hin und her, dann sprach er mit belegter Stimme:
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll.« Er räusperte sich. »Ich denke doch, wir haben eine Haltererlaubnis für Gyp, oder? Ich kann mir vorstellen, dass das helfen wird.«
    »Natürlich haben wir eine Erlaubnis!«, sagte Caroline. »Aber was um alles in der Welt soll uns eine Haltererlaubnis nützen? Es handelt sich doch in unserem Fall nicht um einen gefährlichen Kampfhund, der frei auf der Straße herumläuft. Wir haben hier einen Familienhund in seinen eigenen vier Wänden, der so lange geärgert worden ist, bis er die Geduld verloren hat. Jeder, der gestern Abend hier war, wird mir da zustimmen. Und wenn die Baker-Hydes das nicht einsehen wollen … Ach, ich kann es nicht ertragen! Ich wünschte, diese Leute hätten Standish niemals gekauft! Und ich wünschte bei Gott, wir hätten niemals zu dieser unseligen Gesellschaft eingeladen!«
    Ich sagte: »Das Gleiche wünschen sich Mr. und Mrs. Baker-Hyde vermutlich auch. Die Geschichte mit Gillian hat ihnen einen furchtbaren Schlag versetzt.«
    »Aber natürlich hat es das«, sagte Mrs. Ayres. »Jeder hier konnte gestern Abend ahnen, dass dieses Kind schrecklich entstellt aussehen wird. Für alle Eltern ist so etwas ein furchtbarer Schlag.«
    Nach ihrer Äußerung herrschte betretenes Schweigen, und mein Blick wanderte unwillkürlich zu ihrem Sohn hinüber. Er hatte den Blick gesenkt, als betrachtete er seine Hände. Zwar konnte ich das Flackern einer Gefühlsregung erahnen, doch sein Verhalten erstaunte mich immer noch. Er hob den Kopf, und wieder blieb ihm die Stimme in der Kehle stecken und er musste sich räuspern. Er sagte: »Ich wünschte, ich wäre gestern Abend bei euch gewesen!«
    »Das wünschte ich auch, Roddie!«, sagte seine Schwester.
    »Ich kann mir nicht helfen«, fuhr er fort, als habe er sie gar nicht gehört, »aber ich fühle mich, als wäre ich irgendwie verantwortlich für das, was passiert ist.«
    »Das tun wir alle«, sagte ich. »Ich ebenfalls.«
    Er blickte mich ausdruckslos an.
    Caroline sagte: »Keiner von uns hat Schuld daran. Dieser Schwager war’s, der auf dem Cembalo rumgeklimpert hat. Und wenn die

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