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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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untypisch für sein Verhalten.«
    »Das ist kein großer Trost für meine Frau und mich. Sie erwarten doch wohl kaum, dass wir Ruhe haben, ehe dieser Hund beseitigt ist?« Er blickte zu den schmalen Sprossenfenstern über dem Vorbau empor, von denen eines offen stand, und senkte die Stimme. »Dieser Vorfall hat Gillians ganzes Leben ruiniert, das werden Sie doch wohl einsehen. Dr. Seeley hat mir gesagt, man könne von Glück reden, dass sie keine Blutvergiftung bekommen hat! Und all das nur, weil diese Leute es nicht für nötig halten, einen gefährlichen Hund anzubinden! Stellen Sie sich bloß vor, er fällt noch ein Kind an!«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Gyp das tun würde, und obwohl ich nichts sagte, musste er meinen zweifelnden Gesichtsausdruck gesehen haben. Er fuhr fort: »Hören Sie, ich weiß, dass Sie eine Art Freund der Familie sind. Ich erwarte auch gar nicht, dass Sie sich auf meine Seite schlagen. Aber ich sehe auch, was Sie möglicherweise nicht sehen können, dass die sich nämlich für was Besseres halten und meinen, sie könnten sich hier gegenüber jedem nach Gutsherrenart benehmen! Wahrscheinlich haben sie den Hund extra so abgerichtet, damit er Eindringlinge von ihrem Besitz abschreckt! Die sollten sich mal lieber um den alten Müllhaufen kümmern, in dem sie da leben! Die sind doch aus einer anderen Zeit, diese Leute, die leben doch nicht im Hier und Jetzt! Um ehrlich zu sein, Herr Doktor, kommt mir die ganze Grafschaft rückständig vor!«
    Beinahe hätte ich ihm erwidert, dass es doch gerade diese Rückständigkeit war, die ihn zunächst angezogen hatte. Stattdessen bat ich ihn jedoch, die Polizei zumindest so lange nicht einzuschalten, bis er noch einmal mit Mrs. Ayres geredet hatte, und schließlich meinte er: »Na gut. Ich fahre rüber, sobald ich sehe, dass Gillian nicht mehr in Gefahr ist. Aber wenn diese Leute auch nur einen Funken Anstand besitzen, dann werden sie den Hund schon vorher beseitigen!«
    Keiner der sechs oder sieben Patienten, die ich im Laufe des Vormittags aufsuchte, erwähnte die Geschehnisse auf Hundreds, doch Klatsch und Tratsch machen auf dem Land so schnell die Runde, dass ich schon zu Beginn meiner Abendsprechstunde feststellen musste, dass reißerische Schilderungen über Gillians Verletzung durch Pubs und Geschäfte getragen wurden. Ein Mann, den ich nach dem Abendessen aufsuchte, beschrieb mir den Vorfall in allen Einzelheiten, die auch stimmten, abgesehen davon, dass in seinem Bericht statt meiner Seeley vor Ort war und das kleine Mädchen nähte. Er war Arbeiter und litt schon einige Zeit an Rippenfellentzündung, und ich tat mein Bestes, um zu verhindern, dass die Krankheit noch schlimmer wurde. Doch seine Wohnverhältnisse und seine Lebensweise wirkten sich nachteilig aus: Er lebte in einem engen Häuschen mit feuchtem Ziegelboden, und genau wie viele andere Arbeiter schuftete er zu viel und war zu freizügig mit dem Alkohol. Unterbrochen von Hustenanfällen gab er mir seine Meinung über den Vorfall zum Besten:
    »Er soll ihr fast die ganze Backe abgebissen haben. Und beinahe auch noch die Nase. Ja, so sind sie, die Tölen. Ich sag’s ja immer wieder, jeder Hund hat’s in sich, einen zu töten. Hat gar nix mit der Rasse zu tun. Jeder Köter kann plötzlich losgehen, jeder!«
    Ich musste an mein Gespräch mit Peter Baker-Hyde denken und fragte ihn, ob seiner Meinung nach der Hund in diesem Falle eingeschläfert werden sollte. Nein, erwiderte er ohne zu zögern, denn wie er ja gerade gesagt habe, sei jeder Hund bissig, und es sei doch sinnlos, ein Lebewesen für etwas zu bestrafen, was nun mal in seiner Natur läge.
    Ob das auch die Meinung der anderen Leute sei, erkundigte ich mich. Na ja, er hätte verschiedene Ansichten gehört. »Manche sagen, er gehört ausgepeitscht, andere sagen, man sollte ihn erschießen. Natürlich muss man auch an die Familie denken.«
    »Die Familie auf Hundreds, meinen Sie?«
    »Nein, nicht die. Die Familie von dem Mädchen, die Baker-Pies.« Er lachte sein feucht rasselndes Lachen.
    »Aber wird das nicht schlimm für die Ayres sein, wenn sie sich von ihrem Hund trennen müssen?«
    »Ach«, meinte er, hustete noch einmal und beugte sich dann vor, um in den Kamin zu spucken, in dem kein Feuer brannte, »die haben sich schon von Schlimmerem trennen müssen, oder?«
    Seine Äußerung beunruhigte mich eher. Ich hatte mich schon den ganzen Tag gefragt, wie die Stimmung im Herrenhaus wohl war. Und da ich ohnehin schon in

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