Der Besucher - Roman
der Nähe des Parktors war, als ich das Häuschen des Arbeiters verließ, beschloss ich, dort vorbeizuschauen.
Es war das erste Mal, dass ich das Haus ohne vorherige Einladung aufsuchte. Genau wie in der vorangehenden Nacht regnete es heftig, und niemand hörte mein Auto kommen. Ich klingelte, öffnete dann rasch selbst die Tür und betrat das Haus. Der arme Gyp persönlich begrüßte mich: Halbherzig bellend kam er über den Marmorboden der Eingangshalle getapst. Irgendwie musste er wohl das Unheil gespürt haben, das über ihm schwebte, denn er wirkte beunruhigt und kleinlaut, ganz und gar nicht wie sonst. Er erinnerte mich an eine Frau, die mal bei mir in Behandlung gewesen war, eine alternde Lehrerin, die unter Gedächtnisverlust litt und in Nachthemd und Hausschuhen das Haus verließ. Einen Moment lang dachte ich mir: Vielleicht verliert er ja wirklich den Verstand. Was wusste ich schon über sein Naturell? Doch als ich mich neben ihn hockte und ihn hinter den Ohren kraulte, schien er ganz der alte, freundliche Hund. Er öffnete das Maul und zeigte seine gesunde, rosafarbene Zunge.
»Das ist ja eine schöne Bescherung, Gyp«, sagte ich leise. »Was hast du dir nur dabei gedacht, alter Junge. Hmmh?«
»Wer ist denn da?«, hörte ich Mrs. Ayres von weiter weg rufen. Dann tauchte sie aus der Düsternis des Hauses auf, wie üblich in einem dunklen Kleid mit einem noch dunkleren Paisley-Tuch um die Schultern. »Dr. Faraday«, sagte sie überrascht und zog sich das Tuch enger um die Schultern. Ihr herzförmiges Gesicht sah verhärmt aus. »Ist alles in Ordnung?«
Ich stand aus meiner Hocke auf. »Ich habe mir bloß Sorgen um Sie gemacht«, erwiderte ich.
»Tatsächlich?« Ihr Gesicht entspannte sich. »Das ist aber nett von Ihnen. Aber kommen Sie doch herein und wärmen sich auf. Es ist ziemlich kalt heute, nicht wahr?«
Es war gar nicht so besonders kalt, doch während ich ihr zum kleinen Salon folgte, schien es mir, als habe sich das Haus, genau wie die Jahreszeit, von einem Tag auf den anderen verändert. Der Korridor mit der hohen Decke, der mir während des langen Sommers wunderbar kühl und luftig erschienen war, wirkte nach nur zwei Tagen Regen plötzlich klamm und feucht. Im kleinen Salon waren die Vorhänge vor den Fenstern zugezogen, im Kamin brannte ein knisterndes Feuer aus Reisig und Tannenzapfen, und Stühle und Sofa waren dicht vor den Kamin gezogen worden, doch das ganze Arrangement wirkte nicht gemütlich, sondern eher so, als bildeten die Sitzgelegenheiten eine einzige helle und warme Insel inmitten der Weite des abgetretenen Teppichs und der Düsternis des übrigen Salons. Mrs. Ayres hatte offenbar auf einem der Stühle gesessen, und auf dem anderen, mit Blick zu mir, saß Roderick. Ich hatte ihn noch in der Woche zuvor gesehen, doch sein Aussehen erschreckte mich regelrecht. Er trug einen seiner unförmigen alten Air-Force-Pullover, und sein Haar war ebenso wie meines frisch geschnitten. Vor dem Hintergrund des breiten Ohrensessels wirkte sein Kopf so schmal und verhärmt wie der eines Geistes. Er sah mich eintreten und schien die Stirn zu runzeln; nach einem winzigen Zögern jedoch packte er die Armlehnen des Sessels, als wollte er aufstehen und mir den Platz anbieten. Ich bedeutete ihm, sitzen zu bleiben, und setzte mich neben Caroline aufs Sofa. Gyp ließ sich auf dem Teppich zu meinen Füßen nieder und gab dabei einen dieser ausdrucksvollen Hundeseufzer von sich, die beinahe menschlich wirken.
Niemand sagte ein Wort, nicht einmal zur Begrüßung. Caroline saß mit hochgezogenen Knien auf dem Sofa und zupfte mit angespanntem, unglücklichem Gesichtsausdruck an den Zehennähten ihrer Wollstrümpfe herum. Roderick drehte sich mit nervösen, ruckartigen Bewegungen eine Zigarette. Mrs. Ayres zog sich den Schal um ihre Schultern zurecht, setzte sich und sagte: »Wir sind heute alle ziemlich durcheinander, wie Sie sich ja sicher vorstellen können, Dr. Faraday. Sind Sie schon auf Standish gewesen? Erzählen Sie, wie geht es dem kleinen Mädchen?«
»Wie ich gehört habe, geht es ihr den Umständen entsprechend gut«, erwiderte ich. Und als sie mich mit verständnislosem Blick anschaute, ergänzte ich: »Ich habe sie selbst nicht gesehen. Sie haben sie in die Obhut von Jim Seeley gegeben. Ich habe ihn heute Morgen dort getroffen.«
»Seeley!«, rief sie verächtlich aus, und ihr Tonfall erstaunte mich, bis mir wieder einfiel, dass Seeleys Vater damals ihre erste Tochter behandelt hatte –
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