Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games
man’s geschafft.
GEORGE BURNS
D ie Fahrt von Barstow nach L. A. war ziemlich langweilig.
Die Abenddämmerung breitete sich langsam über der Landschaft aus, die Sonne sank herab und verschwand in einem grauen Dunst. Sie redeten nicht viel — Jane spielte weiter ihre Rolle, natürlich, und »Philip« wollte seine Kräfte schonen.
Er fuhr den Wagen, denn das tat Philip Kindred immer, und die beiden wollten sichergehen, dass Philip Kindred die ganze Fahrt von Barstow nach L. A. für jedermann sichtbar hinterm Steuer saß. Doch der Schauspieler hinter der Figur Philip Kendrid hatte es satt, brauchte eine Pause. Die Rolle war anstrengend, psychisch wie körperlich. Und die Foltereinlage heute Morgen an der Tankstelle hatte ihm einiges abverlangt.
Außerdem — er musste es zugeben — war er ganz schön
neidisch auf die Schauspielerin, die die Rolle seiner Schwester /Geliebten Jane spielte; im Grunde konnte sie die ganze Zeit herumsitzen und dabei zuschauen, was passierte. Tolle Rolle.
Sie hatte nicht so viel dafür büffeln müssen wie er. Mittwochmittag war der Auftrag hereingekommen; am Abend hatte er sich mit »Jane« getroffen und in einem anonymen Hotelzimmer in Flagstaff, Arizona, verkrochen und einen Stapel Referenzmaterial sowie Fotos und Aufnahmen über die berühmt-berüchtigten Kindreds durchgearbeitet. Jede Menge unheimlicher Geschichten, aber auch ziemlich spannend — das musste der Mann, der Philip spielte, zugeben.
Zur Vorbereitung gehörte es auch, die Schauspielerin, die Jane spielte, kennenzulernen und sich in der Gegenwart des anderen wohlzufühlen — miteinander vertraut zu sein. Der richtige Philip Kindred hatte die Angewohnheit, Jane bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu berühren, als wollte er durch den Körperkontakt seine Besitzansprüche zum Ausdruck bringen oder sie beruhigen. Sie küssten sich, bis es sich echt, ungezwungen anfühlte. Sie hörten sich die Lieblingsmusik der Kindreds an (Sechzigerjahre-Orchesterpop, Bubblegum-Alben aus den Siebzigern, die ihre toten Eltern zu Haus hatten, vor allem »Crimson and Clover« — » over and over «), schauten sich Clips ihrer Lieblingsfilme an (Slasher-Filme aus den Achtzigern, Teen-Sex-Komödien aus den Neunzigern, Gewaltpornos der Nuller Jahre), studierten Tatortfotos und fummelten erneut ein bisschen herum. Nicht, dass das alles abgefragt wurde. Doch je mehr sie sich in die Materie vertieften, desto besser.
Es war ziemlich surreal, als sie sich am Donnerstagabend im Fernsehen The Truth Hunters Special: The Kindreds anschauten. Wie üblich wurde die Sendung von Jonathan Hunter präsentiert, einem absoluten Familienmenschen. Er wirkte noch finsterer als sonst — fast so, als wüsste er, was Samstagnacht passieren würde.
»Ganz schön unheimlich«, murmelte der Mann, der Philip spielte.
Die Frau, die Jane spielte, blieb in ihrer Rolle und sagte nichts.
(Hey! Sie musste nicht mal Text lernen!)
Der Großteil der Sendung bestand aus nachgestellten Szenen früherer Folgen, mit zwei Trotteln, die kaum Ähnlichkeit mit Philip und Jane Kindred hatten. Es war wirklich komplett verrückt, wenn man bedachte, dass Philip und Jane Kindred berüchtigt dafür waren, unschuldige Menschen zu entführen und zu zwingen, Szenen aus ihren Lieblings-Horrorfilmen nachzuspielen — nachzustellen, sozusagen. Mit vorgehaltener Waffe. Während der Mann, der Philip spielte, also auf den Bildschirm starrte, wurde ihm die verborgene Verbindung zwischen ihnen bewusst: Er schaute sich die nachgestellte Szene einer nachgestellten Szene an, während er sich auf die Inszenierung einer ebenfalls gestellten Szene vorbereitete — allerdings eine, die jeder für bare Münze nehmen würde. All das verursachte ihm Kopfschmerzen. Er wünschte sich jetzt ein eisgekühltes Bier.
Aber keinen Alkohol: Die Kindreds waren Antialkoholiker.
(Woran man sehen konnte, wie verrückt die beiden wirklich waren, dachte er.)
Der Mann, der Philip spielte, hätte die Frau, die Jane spielte, gerne auf diese seltsame Tatsache hingewiesen. Aber was konnte sie schon tun — nicken? Mit den Schultern zucken?
Die Sendung endete mit Jonathan Hunters üblichem Appell, bei der Wahrheitssuche zu helfen: Wer über Informationen verfüge, die Licht in den Fall bringen könnten, solle sich bitte umgehend mit The Truth Hunters in Verbindung setzen, per Telefon, E-Mail oder Facebook, und unbedingt die neusten Fakten auf Twitter abrufen …
Bla, bla, bla.
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