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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Rücksitz liegt, und streife sie mir über, ohne zu halten. Ich könnte jetzt in X meiner Arbeit nachgehen, Haberkamms langweiligem, sicherem, sinnlosem Projekt über Europa, meine monatlichen Gehaltsüberweisungen beziehen, abends am Meer flanieren, Freunde treffen, gut essen gehen. Oder in Berlin einen Lehrauftrag ausüben, die früher anbrechenden Abende zu Hause verbringen, kritische Bücher lesen, die ohne praktische Konsequenz bleiben. Stattdessen sitze ich hier, im spanischen Niemandsland, auf der Flucht, mit Zubieta an meiner Seite, einem zur Fahndung ausgeschriebenen Terroristen, einem Menschen, um den man sich kümmern muss, einem Kranken.
    Mir fällt Hanna ein. Als sie etwas über zwei Jahre alt war, fing sie sich ständig Infekte ein. Andauernd wurde sie krank, schlief kaum eine Nacht durch. Wir holten sie aus dem Bett, redeten beruhigend auf sie ein, gaben ihr schmerzlindernde Mittel, doch immer wenn wir glaubten, wir hätten es geschafft, bekam sie die nächste Krankheit, und alles begann von neuem. Andere Eltern erzählen, dass sie in diesen Momenten des Ausgeliefertseins ihre Kinder erst richtig zu lieben begonnen haben, dass hier ihre Nähe entstand. Ich hingegen glaube, dass es bei mir genau anders herum war. Ich wünschte mir in diesen Nächten nichts sehnlicher, als allein zu sein und meine Ruhe zu haben.
    Dabei ist Hanna nur ein normales Kind und kein mit Steckbrief gesuchter Mann.
    Ich halte auf einem Feldweg, der zu einem Landgut hinunterführt. Neben dem Asphalt stehen ein paar sich selbst überlassene Olivenbäume. Ihre vertrockneten Früchte bilden einen Belag auf dem Boden, einen schwarzen Teppich, den man unter den Sohlen leise knacken hört.
    Ich setze mich in den Staub, den Rücken an einen der Stämme gelehnt, und greife nach den trockenen Oliven am Boden, um sie ziellos in die Nacht zu werfen.
    Ich sollte Zubieta im Krankenhaus abliefern. Es war reines Glück, dass wir nicht im Hotel aufgeflogen sind, auf der Straße wird man früher oder später auf uns aufmerksam werden. In einem Krankenhaus dagegen könnte Zubieta als gestrandeter Fremder durchgehen, als einer der unzähligen Ausländer, die auf der Reise erkrankt sind und medizinische Betreuung benötigen. Er könnte sich als Südamerikaner ausgeben, die Behandlung bar bezahlen, sich zwei Tage pflegen lassen und danach verschwinden. Niemand würde Fragen stellen.
    Benommen lege ich mich auf den Boden, in den Staub. Mir dröhnt das Motorengeräusch in den Ohren, es hat sich im Kopf festgesetzt, sich verselbständigt, die Erde ist kalt.
    Ich bin Zubieta nichts schuldig. Es war nicht abgesprochen, dass wir einen Dritten mitnehmen, ein Depot suchen gehen, dass unsere Reise ins Nichts führt. Wenn jemand ein Versprechen nicht eingehalten hat, dann er. Seine Fahrt war dilettantisch vorbereitet, er hat mir nicht gesagt, was er vorhat. Wenn ich ihn in einem Krankenhaus abliefern und verschwinden würde, hätte ich mir nichts vorzuwerfen. Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Ich habe ihn gefahren.
    Und so werfe ich, überzeugt davon, eine Entscheidung gefällt zu haben, die letzten Oliven in die Nacht, stehe auf und gehe zum Wagen zurück.
     
    Die Lichter von halb verlassenen Dörfern, der Geruch von brennendem Pinienholz.
    Ich schalte die Innenbeleuchtung des Wagens an, betrachte Zubieta, dessen Gesicht, von einem Schweißfilm überzogen, weißlich schimmert, greife nach der am Boden stehenden Wasserflasche, blicke auf die Uhr. 21:12 zeigt die Leuchtdiode am Armaturenbrett. Ich fühle mich, als wäre es später, als wäre es tiefste Nacht.
    Auf der Suche nach einer größeren Ortschaft schlage ich den Straßenatlas auf. Unser Aufenthaltsort ist mit einem Faden vermerkt, ich fahre mit dem Finger den Guadalquivir hinauf, an einer rot eingezeichneten Überlandstraße entlang Richtung Osten, in eine Sierra hinein. Dort, die höheren, offensichtlich bewaldeten Lagen sind grün eingezeichnet, grenzt die Comunidad de Andalucía an Murcia an, der Name steht in großer, roter Schrift über dem Bergland. Mir kommen die Straßen bekannt vor, der Autoatlas ist auf dieser Seite abgegriffen, und erst jetzt begreife ich, dass es gerade einmal zwei Monate her ist, seit ich mit Rabbee genau dort unterwegs war.
    Von dem Parkplatz, auf dem Zubieta und ich stehen, bis zur Mühle von Katharinas Vater sind es nicht mehr als hundertzwanzig Kilometer, etwa zwei Stunden Fahrt. Wir könnten vor Mitternacht da sein, denke ich, die Nacht in einem Bett

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