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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Hanna hinterlassen haben muss. Zu meiner eigenen Überraschung lächle ich, als ich sie sehe.
    »Noch ein paar Stunden, und du hast es geschafft«, sagt er.
    »Und du?«
    »Wenn ich Glück habe, habe ich es auch bald geschafft.«
    Vom Bewässerungskanal dringt ein Gurgeln herüber, das Geräusch kleiner, sich schnell verflüchtigender Wasserstrudel. »Was …? Was willst du schaffen?«
    »Was neues«, sagt er. »Eine neue Situation.«
    Mir ist nicht klar, ob sich die Aussage auf sein Leben bezieht, seine Organisation oder die Region um X.
    Hinter uns rascheln die Pappeln, von einer Abendbrise bewegt, die man nicht auf der Haut spürt. Mauersegler schreien, es riecht nach Gräsern und trockenem Stroh.
    Ich streiche Zubieta ein Brot und halte es ihm hin. Fürsorglich, um Nähe bemüht. Er lehnt ab, er hat keinen Appetit.
    Und dann stelle ich ihm doch noch eine indiskrete Frage.
    »Hast du ihn mal wiedergesehen?«
    »Wen?«
    »Sarrionandia. Alle lesen seine Bücher. Manchmal glaube ich, dass es das ist, was uns verbindet. Alle warten auf sein nächstes Buch. Selbst diejenigen, die sich ansonsten nur für Propaganda und Fantasy-Romane begeistern. Anstatt von eurem Volk solltet ihr lieber von Sarrionandias Leserkreis sprechen. Das sind die, die was ändern wollen.«
    »Meinst du?«, fragt er. »Ich war ja lange nicht mehr da.«
    »Alle haben sein letztes Buch gelesen. Und man kann nicht gerade behaupten, dass es leicht geschrieben gewesen wäre.«
    »Ja«, er nickt, »es ist … komplex …«
    »Warum lasst ihr euch eure Erklärungen eigentlich nicht von ihm schreiben? Dann würde vielleicht nicht immer das gleiche drinstehen.«
    »Manchmal muss man sich wiederholen.«
    Ich denke an den Roman. An der nicaraguanischen Karibikküste sitzt, zwischen Palmen und Bananenstauden, ein Mann in seiner Holzhütte und starrt regungslos auf den tropischen Regen, eine aschefarbene Wand. Man hört die Tropfen aufs Eternit-Dach schlagen. Das ist genau das Problem: Der ganze Konflikt ist wie der zu Eis gewordene Mann: eingefroren, tiefkühlkonserviert.
    »Hast du ihn gesehen oder nicht?«, wiederhole ich die Frage, die Zubieta nicht beantwortet hat.
    »Sarri lebt irgendwo mit falscher Identität«, antwortet er. »Wie soll ich ihn da sehen?«
    »Du hast ihn aus dem Gefängnis geholt. Da werdet ihr doch Kontakt gehabt haben.«
    »Wer hat dir das erzählt?«, antwortet er. »Dass ich ihn aus dem Gefängnis geholt habe.«
    »Stand in der Zeitung.«
    »In der Zeitung steht viel.«
    »Hast du ihn jetzt gesehen?«
    »Bei solchen Dingen gilt das Versprechen, nichts zu erzählen.«
    »Ich würde mir wünschen, dass du dich in meinem Fall auch mal als so verschwiegen erweist.«
    »Ich könnte es dir versprechen.« Er lacht.
    »Wenn du ihn siehst«, sage ich schließlich, »richte ihm aus, dass ich dich wegen seiner Bücher gefahren habe. Weil du ihn rausgeholt hast.«
    Und zum ersten Mal seit wir uns wiedergesehen haben, lächelt Zubieta nicht ironisch, selbstsicher oder distanziert, sondern zufrieden, beinahe glücklich.
     
    Wir überqueren den Guadalquivir.
    Frisch gepflügte Äcker, Großgrundbesitz, der Himmel von einem Dunstfilm überzogen.
    Schweigend lassen wir die ausgebleicht wirkende Landschaft an uns vorbeiziehen. Immer wieder halten Traktoren den Verkehr auf und wir drosseln gezwungenermaßen das Tempo.
    »Meinst du, wir sind vor Einbruch der Dunkelheit da?«
    »Wir haben’s fast geschafft«, antwortet Zubieta.
    Asphalt, Kurve, Böschung, Ampel, Verkehrsschild – mir ist, als würde ich seit einer Ewigkeit am Steuer sitzen und immer wieder dieselbe Situation durchleben. Gerade einmal zwei Wochen ist es her, dass ich Zubieta wieder getroffen habe, höchstens dreißig Stunden bin ich wirklich gefahren. Trotzdem kann ich mich kaum an ein Leben davor erinnern.
    Hinter einem aufgestauten Tümpel lotst mich Zubieta von der Straße. »Hier ist es.«
    Der Schotter knirscht unter den Reifen wie Glas.
    »Ich werde dich vermissen«, sage ich.
    Zubieta blickt konzentriert nach vorn, als suche er jemanden. Nach ungefähr hundert Metern gibt er mir ein Zeichen.
    Ich halte auf dem Grasstreifen neben der Erdpiste. Vor uns steht ein winziges Steinhaus auf einem abgeernteten Getreidefeld. Aus dem umgepflügten Erdreich ragen einzelne Halme heraus. Einen Moment lang glaube ich, dass es sich bei dem Haus um Zubietas Versteck handelt, und frage mich, ob er es in seinem Zustand dort aushalten wird. Das Haus ist halb verfallen, das Glas aus den

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