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Der Bienenfresser

Der Bienenfresser

Titel: Der Bienenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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auszuhalten gewesen.
    »Was hast du gesagt, Marie?«
    »Morgen kommt Rainer aus dem Gefängnis.«
    »Was heißt das?«
    »Du weißt es.«
    Ich wusste es, ich hatte es die ganze Zeit gewusst, das war ja mein Problem gewesen. Wenn ich dafür sorgte, dass Laflör aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, musste ich auf Marie verzichten. Das war klar gewesen, aber jetzt so plötzlich, so endgültig… Verdammt, es tat weh! Ich hatte einen Kloß im Hals, und als ich endlich sprechen konnte, war es kaum mehr als ein Krächzen: »Marie, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
    »Sag einfach tschüs«, sagte sie und stand auf. »Nein, bleib liegen, kein Licht!«
    Ich hörte ihr Atmen, das Knistern, als sie die Strümpfe anzog, das Rascheln, als sie den Rock glatt strich und sich das Wollcape umlegte.
    ›Sag einfach tschüs‹, hatte sie gesagt.
    »Also, dann…« Ich brachte es nicht heraus.
    Ich hörte die Wohnungstür und dann die Eingangstür ins Schloss fallen und in dieser kurzen Zeitspanne lief zwar nicht mein ganzes Leben, wohl aber die Arbeit der letzten Wochen wie ein Film vor meinen Augen ab: das Gesicht des toten Taubenzüchters, die Ratten, das Ohr des Rockers, der Schuss auf der Fähre, die selbstzufriedene Miene des ehemaligen und die des neuen Staatssekretärs, das Siegeslächeln meiner Exfrau Verena, das Gesicht von Marie…
    Meine Augen brannten, ich wusste, dies war nicht das Ende der Welt, aber es war das Ende von etwas sehr Großem.
    Ich versuchte mich durch Arbeit abzulenken – es ging nicht.
    Meine Gedanken drehten sich nur um sie. Immer wieder las ich den Brief, den sie mir beim Abschied auf den Tisch gelegt hatte:
    Wenn man liebt, ist nichts klar und fest umrissen, und wie lang so eine Geschichte währt, weiß man schon gar nicht. Sie war kurz und es wird noch lange wehtun, es hat sich dennoch gelohnt.
    Wenn das Telefon klingelte, hob ich nicht ab. Kurt sprach auf den Anrufbeantworter, Verena fragte, wie es mir gehe, Kapuste lud mich zu seiner Ausstellung ein. Es gab aber auch Anrufer, die mir einen Job anboten, für eine
    Betriebskrankenkasse die Simulanten ausfindig machen, für einen Geschäftsmann einen Schuldner überprüfen, der sich nach Mallorca abgesetzt hatte. Alles nichts für mich, ich war traurig, ich war bequem, und in dem braunen Umschlag, den Verena mir gegeben hatte, steckten noch zehn große Scheine.
    Und dann kam der Tag, an dem sich Rico Skasa meldete und mich ebenso freundlich wie bestimmt auf den nächsten Zahlungstermin aufmerksam machte.
    Am anderen Tag ging ich zur Bank, griff mir am Stehpult die Vordrucke Bareinzahlung auf fremdes Konto, verschrieb mich und schob schließlich, nachdem ich mich ein zweites Mal vertan hatte, Formular und Geld durch den Schlitz in der Panzerglasscheibe dem Kassierer zu. Er war ein gesprächiger Mensch, der entweder meinen Gesichtsausdruck falsch deutete oder einfach nur seinen Standardspruch losließ, wenn er das Wort Finanzamt las: »Oh, das tut weh, Herr Mogge, nicht wahr?«
    »Ja, sehr!«
    Er zählte die Geldscheine.
    Es war der letzte Rest des Ibiza-Honorars. Ich sah auf die Uhr, die hinter dem Kassierer an der Wand hing.
    13.55 Uhr, Freitag, 22. September.
    Herbstanfang. Höchste Zeit für einen neuen Auftrag.
    Am besten im Süden.

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