Der blaue Express
noch was?»
Er sah Carrège an. Dieser suchte Inspiration bei Poirot und erhielt sie in Form eines schwachen Kopfschütteins.
«Nein, Monsieur Kettering», sagte er höflich, «nein, ich glaube, wir müssen Sie nicht länger behelligen. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.»
«Guten Morgen», sagte Kettering. Er ging hinaus, dabei schlug er die Tür hinter sich zu.
Sobald der junge Mann das Zimmer verlassen hatte, beugte Poirot sich vor und fragte scharf:
«Sagen Sie, wann haben Sie mit Monsieur Kettering über diese Rubine gesprochen?»
«Ich habe überhaupt nicht von ihnen gesprochen», sagte Carrège. «Wir haben erst gestern Nachmittag durch Monsieur Van Aldin von ihnen erfahren.»
«Ja, aber im Brief des Comte werden sie erwähnt.»
Carrège wirkte gekränkt.
«Selbstverständlich habe ich mit Monsieur Kettering nicht über diesen Brief gesprochen», sagte er mit schockierter Stimme. «Beim augenblicklichen Stand der Affäre wäre das äußerst leichtfertig gewesen.»
Poirot beugte sich vor und klopfte auf den Tisch.
«Woher wusste er dann davon?», fragte er leise. «Madame kann es ihm nicht erzählt haben; er hat sie doch seit drei Wochen nicht gesehen. Es ist unwahrscheinlich, dass Monsieur Van Aldin oder sein Sekretär sie erwähnt hätten. Bei ihren Gesprächen mit ihm ging es um ganz andere Dinge. Und in den Zeitungen gab es keinen Hinweis und keine Anspielung auf die Rubine.»
Er stand auf und nahm Hut und Stock.
«Und trotzdem», murmelte er vor sich hin, «weiß unser Gentleman über sie Bescheid. Also, da fragt man sich – ja, man fragt sich!»
Achtzehntes Kapitel
Derek isst zu Mittag
D erek Kettering ging geradewegs ins Negresco, wo er zunächst einige Cocktails bestellte und schnell hinunterstürzte. Dann starrte er mürrisch auf das blendend blaue Meer. Mechanisch registrierte er die Passanten – eine verdammt öde Gesellschaft, schlecht angezogen und fast schmerzhaft uninteressant; in diesen Tagen sah man ja kaum je etwas Bemerkenswertes. Diese letztere Feststellung korrigierte er allerdings sogleich, als sich eine Frau an einen nicht weit entfernten Tisch setzte. Sie trug eine wundervolle Komposition in Orange und Schwarz, mit einem Hütchen, das ihr Gesicht beschattete. Er bestellte einen weiteren Cocktail; wieder starrte er aufs Meer hinaus und zuckte dann plötzlich zusammen. Ein wohl bekanntes Parfüm stieg ihm in die Nase, und als er aufblickte, stand die Dame in Orange und Schwarz neben ihm. Nun sah er ihr Gesicht und erkannte sie. Es war Mirelle. Sie sah ihn mit dem herausfordernden, verführerischen Lächeln an, das er so gut kannte.
«Derek», murmelte sie. «Du freust dich doch, mich zu sehen, oder?»
Sie setzte sich in einen Sessel auf der anderen Seite des Tisches.
«Aber dann begrüß mich doch, du Dummkopf», spottete sie.
«Welch unerwartetes Vergnügen», sagte Derek. «Wann hast du London verlassen?»
Sie zuckte mit den Schultern.
«Vor einem oder zwei Tagen?»
«Und das Parthenon?»
«Ich habe denen, wie sagt man das? – den Kram hingeschmissen!»
«Wirklich?»
«Du bist nicht besonders entgegenkommend, Derek.»
«Hattest du das denn erwartet?»
Mirelle zündete sich eine Zigarette an und rauchte ein paar Minuten, ehe sie sagte:
«Meinst du vielleicht, es wäre unvorsichtig, so bald?»
Derek starrte sie an, dann zuckte er mit den Schultern und sagte förmlich:
«Willst du hier zu Mittag essen?»
«Mais oui. Ich esse mit dir.»
«Es tut mir wirklich sehr Leid», sagte Derek. «Ich habe eine überaus wichtige Verabredung.»
«Mon Dieu! Ihr Männer seid wie die Kinder», rief die Tänzerin aus. «O ja, jetzt spielst du mir das verzogene Kind vor, und zwar seit dem Tag in London, als du aus meiner Wohnung gerauscht bist, seitdem schmollst du. Ah!, mais c’est inoui!»
«Mein liebes Mädchen», sagte Derek, «ich weiß wirklich nicht, wovon du da redest. In London haben wir uns darüber geeinigt, dass Ratten ein sinkendes Schiff verlassen; mehr ist nicht dazu zu sagen.»
Trotz seiner achtlosen Rede wirkte sein Gesicht eingefallen und bedrückt. Mirelle beugte sich plötzlich vor.
«Du kannst mir nichts vormachen», murmelte sie. «Ich weiß – ich weiß, was du für mich getan hast.»
Scharf blickte er zu ihr auf. Ein Unterton in ihren Worten fesselte seine Aufmerksamkeit. Sie nickte ihm zu.
«Ah! Hab keine Angst, ich bin verschwiegen. Du bist großartig! Du hast ungeheuren Mut, aber trotz allem – ich war diejenige, die dich auf den
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