Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blaue Express

Der blaue Express

Titel: Der blaue Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Ihnen, Georges.»
    «Danke, Sir.»
    Eine Pause trat ein, dann murmelte Poirot verträumt:
    «Stellen Sie sich vor, mein lieber Georges, Sie wären in derselben gesellschaftlichen Sphäre auf die Welt gekommen wie Ihr letzter Herr, Lord Edward Frampton – Sie hätten, ohne eigenes Geld, eine äußerst wohlhabende Frau geheiratet, aber diese Frau wollte sich aus guten Gründen von Ihnen scheiden lassen, was würden Sie da unternehmen?»
    «Ich würde versuchen, Sir», antwortete George, «sie davon abzubringen.»
    «Friedlich oder gewaltsam?»
    George blickte schockiert drein.
    «Verzeihen Sie, Sir», sagte er, «aber ein Gentleman aus der Aristokratie würde sich doch nicht wie ein Fischhändler aus Whitechapel benehmen. Er würde nichts Unstandesgemäßes tun.»
    «Würde er nicht, Georges? Tja, ich frage mich… Aber vielleicht haben Sie Recht.»
    Es klopfte. George ging zur Tür und öffnete sie diskret einen Spaltbreit. Es folgte eine gemurmelte Konversation, dann kam der Diener zurück zu Poirot.
    «Ein Brief, Sir.»
    Poirot nahm ihn entgegen. Er war von Monsieur Caux, dem Polizeikommissar.
    «Wir sind eben dabei, den Comte de la Roche zu verhören. Der Juge d’ Instruction bittet um Ihre Anwesenheit.»
    «Rasch meinen Anzug, Georges! Ich muss mich beeilen.»
    Trefflich herausgeputzt in seinem braunen Anzug betrat Poirot eine Viertelstunde später das Büro des Untersuchungsrichters. Monsieur Caux war bereits dort, und wie Carrège begrüßte er Poirot mit höflichem empressement.
    «Die Affäre ist ein wenig entmutigend», murmelte Caux. «Wie es scheint, ist der Comte am Tag vor dem Mord in Nizza eingetroffen.»
    «Wenn das stimmt, ist Ihre hübsche Theorie erledigt», antwortete Poirot.
    Carrège räusperte sich.
    «Wir dürfen dieses Alibi nicht ohne äußerst umsichtige Nachforschungen hinnehmen», erklärte er. Mit der Hand betätigte er die Glocke auf seinem Schreibtisch.
    Bald darauf trat ein großer, dunkelhaariger Mann ein, vorzüglich gekleidet, mit einer etwas hochmütigen Miene. So aristokratisch sah der Comte aus, dass es wie die schiere Ketzerei anmutete, auch nur im Flüsterton zu äußern, sein Vater sei ein kleiner Getreidehändler in Nantes gewesen – was tatsächlich der Fall war. Bei seinem Anblick wäre man bereit gewesen zu beschwören, dass zahllose seiner Ahnen während der Französischen Revolution auf der Guillotine umgekommen sein mussten.
    «Da bin ich, meine Herren», sagte der Comte hochmütig. «Darf ich fragen, warum Sie mich sprechen wollen?»
    «Nehmen Sie doch bitte Platz, Monsieur le Comte», sagte der Untersuchungsrichter höflich. «Es geht um den Tod von Madame Kettering, wir ermitteln in dieser Angelegenheit.»
    «Den Tod von Madame Kettering? Ich verstehe nicht.»
    «Ich glaube, Sie waren mit der Dame – ahemm! – bekannt, Monsieur le Comte?»
    «Gewiss war ich mit ihr bekannt! Was hat das mit der Angelegenheit zu tun?»
    Er klemmte ein Monokel ins Auge und sah sich eisig im Zimmer um, dabei ruhte sein Blick am längsten auf Poirot, der ihn mit einer Art schlichter Bewunderung anstarrte, die der Eitelkeit des Grafen durchaus schmeichelte. Monsieur Carrège lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und räusperte sich.
    «Sie wissen vielleicht nicht, Monsieur le Comte» – er machte eine Pause – «dass Madame Kettering ermordet wurde?»
    «Ermordet? Mon Dieu, wie furchtbar!»
    Überraschung und Schmerz waren trefflich gespielt – so gut, dass sie ganz echt wirkten.
    «Madame Kettering wurde im Zug zwischen Paris und Lyon erdrosselt», fuhr Carrège fort, «und ihr Schmuck geraubt.»
    «Es ist schändlich!», rief der Graf hitzig. «Die Polizei müsste etwas gegen diese Bahnräuber unternehmen. Heutzutage ist doch keiner mehr sicher.»
    «In Madames Handtasche», fuhr der Richter fort, «fanden wir einen Brief von Ihnen. Wie es scheint, hatten Sie ein Treffen mit Madame vereinbart?»
    Der Graf hob die Schultern und breitete die Arme aus. «Was nützt alle Heimlichkeit?», sagte er freimütig. «Wir sind doch alle Männer von Welt. Privat, ganz unter uns, gebe ich die Affäre zu.»
    «Sie haben sie in Paris getroffen und sind mit ihr hierher gereist, nehme ich an?», sagte Monsieur Carrège.
    «So war es ursprünglich vorgesehen, aber auf Madames Wunsch wurde der Plan geändert. Ich sollte sie in Hyères treffen.»
    «Sie haben sie nicht im Gare de Lyon am Abend des Vierzehnten im Zug getroffen?»
    «Im Gegenteil, ich bin am Morgen des gleichen Tages in Nizza angekommen;

Weitere Kostenlose Bücher