Der blaue Mond
bequem und entspannt hin, wie es meine Aufregung zulässt.
»Normalerweise erfordert es eine lange Reihe von Meditationen, doch um Zeit zu sparen und da du ja schon ziemlich fortgeschritten bist, gehen wir es gleich auf kürzestem Weg an, okay?«
Ich nicke, begierig darauf zu beginnen.
»Schließ die Augen, und stell dir einen schimmernden Schleier aus sanftem goldenem Licht vor, der direkt vor dir schwebt«, sagt er und umschlingt meine Finger.
Ich gehorche und male mir eine exakte Replik des Schleiers aus, der mich schon einmal dorthin gebracht hat, des Schleiers, den Damen vor mir ausgebreitet hat, um mich vor Drina zu retten. Und er ist so schön, so strahlend und leuchtend, dass mein Herz vor Freude anschwillt, als ich die Hand nach ihm ausstrecke, erpicht darauf, sie in diesen strahlenden Regen aus glitzerndem Licht zu tauchen, voller Sehnsucht danach, an diesen mystischen Ort zurückzukehren. Und gerade als meine Finger auftreffen und eintauchen wollen, verschwindet er aus meinem Blickfeld, und ich bin wieder in meinem Zimmer.
»Nicht zu fassen! Ich war so nah dran!« Ich wende mich an Damen. »Es war zum Greifen nah! Hast du es gesehen?«
»Du bist erstaunlich nahe gekommen«, bestätigt er. Und obwohl er mich zärtlich ansieht, wirkt sein Lächeln aufgesetzt.
»Und wenn ich es noch mal versuche? Wenn wir es diesmal gemeinsam versuchen?«, frage ich, ehe meine Hoffnungen zerplatzen, weil er den Kopf schüttelt und sich abwendet.
»Ever, wir haben es gemeinsam versucht«, knurrt er, wischt sich die Stirn und wendet sich ab. »Anscheinend bin ich kein besonders guter Lehrer.«
»Das ist doch lächerlich! Du bist ein großartiger Lehrer, du hast nur einen schlechten Tag, weiter nichts.« Doch als ich ihn ansehe, wird mir klar, dass er nicht umzustimmen ist. Also wechsle ich die Taktik und nehme die Schuld auf mich. »Es liegt an mir«, sage ich. »Ich bin eine schlechte Schülerin. Ich bin faul und nachlässig und denke die meiste Zeit nur darüber nach, wie ich dich vom Unterrichtsstoff abbringen kann, damit wir knutschen können.« Ich drücke seine Hand. »Aber darüber bin ich jetzt hinaus. Ich meine es ganz ernst. Gib mir einfach noch eine Chance, dann siehst du es.«
Er schaut mich an und bezweifelt, dass es klappen wird, doch da er mich nicht enttäuschen will, nimmt er mich bei der Hand, und wir versuchen es zusammen noch einmal, indem wir alle beide die Augen schließen und uns dieses wundervolle Portal aus Licht ausmalen. Und gerade als es Gestalt anzunehmen beginnt, kommt Sabine durch die Haustür und beginnt die Treppe hinaufzugehen, womit sie uns so erschreckt, dass wir in entgegengesetzte Ecken des Zimmers huschen.
»Damen, dachte ich's mir doch, dass das dein Auto ist in der Einfahrt.« Sie streift ihre Jacke ab und geht mit wenigen Schritten von der Tür zum Schreibtisch. An ihr klebt noch die aufgestaute Energie aus ihrem Büro, als sie ihm die Hand schüttelt und die Flasche betrachtet, die er auf dem Knie balanciert. »Du bist also derjenige, der Ever mit diesem Zeug angefixt hat.« Sie schaut mit zusammengekniffenen Augen und geschürzten Lippen zwischen uns hin und her, als hätte sie nun sämtliche erforderlichen Beweise beisammen.
Ich äuge zu Damen hinüber, während mir Panik in die Kehle steigt und ich mich frage, wie er es ihr erklären will. Doch er lacht nur und sagt: »Ertappt! Den meisten Leuten schmeckt es nicht, aber Ever findet es seltsamerweise gut.« Dann lächelt er auf eine Weise, die überzeugend oder gar charmant sein soll, was in meinen Augen beides gelingt.
Doch Sabine schaut ihn nur völlig ungerührt weiter an. »Sie scheint auf gar nichts anderes mehr Lust zu haben. Ich kaufe tütenweise Lebensmittel, aber sie isst nichts.«
»Das ist nicht wahr!«, protestiere ich, verärgert, dass sie schon wieder damit anfängt, noch dazu vor Damen. Doch als ich den Chai-Latte-Fleck auf ihrer Bluse sehe, wird mein Ärger zu Empörung. »Wo hast du denn den her?«, zische ich und zeige auf den Fleck, als wäre er ein Schandmal, ein Sinnbild der Anstößigkeit. Ich muss tun, was ich kann, um sie davon abzuhalten, in nächster Zeit wieder hinzugehen.
Sie schaut auf ihre Bluse herunter und reibt nachdenklich daran, ehe sie den Kopf schüttelt und mit den Achseln zuckt. »Ich bin mit jemandem zusammengestoßen«, sagt sie, und zwar auf so beiläufige, lässige, ja regelrecht abgehobene Weise, dass sie unmöglich auch nur annähernd so beeindruckt von Mufioz sein kann wie
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