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Der blaue Mond

Der blaue Mond

Titel: Der blaue Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyson Noël
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sagen will, rückt er so abrupt von mir ab, dass ich einen Moment brauche, bis ich wieder neben ihm bin.
    »Was ist denn?«, schreie ich, als ich sehe, wie er sich die Daumen in die Schläfen presst und um Luft ringt. Als er sich mir zuwendet, scheint er mich nicht zu erkennen. Sein Blick geht regelrecht durch mich hindurch.
    Doch kaum habe ich es bemerkt, ist es auch schon wieder vorbei - abgelöst von seiner liebevollen Wärme, die ich mittlerweile so gewöhnt bin. Er reibt sich die Augen, schüttelt den Kopf und sieht mich an, ehe er spricht. »So habe ich mich nicht mehr gefühlt seit...« Er hält inne und blickt ins Leere. »Oder vielleicht noch nie.« Doch als er meine besorgte Miene sieht, fügt er hinzu: »Mir fehlt nichts, ehrlich.« Und als ich ihn immer noch nicht loslasse, lächelt er. »Hey, wie wär's mit einem Ausflug ins Sommerland?«
    »Im Ernst?«, frage ich mit leuchtenden Augen.
    Während meines ersten Besuchs an diesem wundervollen Ort, dieser magischen Dimension zwischen den Dimensionen, war ich tot. Und ich war so fasziniert von seiner Schönheit, dass ich gar nicht mehr wegwollte. Zum zweiten Mal war ich mit Damen dort. Und seit er mir gezeigt hat, was für herrliche Dinge dort möglich sind, sehne ich mich dorthin zurück. Doch da Sommerland nur von spirituell Hochentwickelten (oder bereits Toten) betreten werden kann, komme ich nicht allein hin.
    »Warum nicht?« Er zuckt die Achseln.
    »Und was ist mit meinem Unterricht?«, frage ich und heuchle Interesse daran, zu studieren und neue Tricks zu lernen, wo ich doch in Wirklichkeit viel lieber ins Sommerland reisen würde, wo alles mühelos und sofort geschieht. »Ganz zu schweigen davon, dass du dich nicht wohlfühlst.« Ich drücke erneut seinen Arm und spüre, dass die gewohnte Wärme und das Kribbeln noch nicht ganz zurückgekehrt sind.
    »Auch im Sommerland kann man etwas lernen.« Er lächelt. »Und wenn du mir meinen Saft gibst, geht's mir auch gleich wieder gut genug, um das Portal heraufzubeschwören.«
    Doch auch nachdem ich ihm den Saft gegeben habe und er mehrere große Schlucke davon getrunken hat, kann er es nicht herbeiholen.
    »Kann ich vielleicht helfen?«, frage ich und mustere seine schweißnasse Stirn.
    »Nein ... ich ... also, ich hatte es beinahe. Lass mir noch ein paar Sekunden«, murmelt er und beißt die Zähne zusammen, entschlossen, sein Ziel zu erreichen.
    Und ich lasse ihm die paar Sekunden. Ja, ich lasse die Sekunden zu Minuten werden, doch noch immer geschieht nichts.
    »Das verstehe ich nicht.« Er blinzelt. »Das ist mir nicht mehr passiert, seit ... seit ich überhaupt erst gelernt habe, wie man es macht.«
    »Vielleicht liegt es daran, dass du dich nicht wohlfühlst.« Er trinkt noch einen Schluck und dann noch einen und noch einen. Doch als er die Augen schließt und es erneut probiert, führt es zum selben Ergebnis wie zuvor.
    »Darf ich es versuchen?«
    »Vergiss es. Du kannst es nicht«, sagt er mit einem scharfen Unterton in der Stimme, den ich nicht persönlich zu nehmen versuche, da ich weiß, dass das mehr mit seiner Unzufriedenheit mit sich selbst zu tun hat als mit mir.
    »Ich weiß, dass ich es nicht kann, aber ich dachte, du würdest es mir vielleicht beibringen, und dann könnte ich ...«
    Doch ehe ich zu Ende sprechen kann, ist er vom Bett aufgestanden und geht vor mir auf und ab. »Es ist ein Prozess, Ever. Ich habe Jahre gebraucht, um zu lernen, wie man dorthin kommt. Du kannst nicht einfach zum Schluss des Buchs springen, ohne die Mitte zu lesen.« Er schüttelt den Kopf und lehnt sich gegen meinen Schreibtisch. Sein Körper ist steif und verspannt, und er weicht meinem Blick aus.
    »Und wann hast du zum letzten Mal ein Buch gelesen, ohne Anfang, Mitte und Schluss bereits zu kennen?« Ich muss schmunzeln.
    Als er mich ansieht, ist sein Gesicht ein Mosaik aus harten Kanten und Ecken, doch nur ganz kurz, denn dann seufzt er, geht auf mich zu und nimmt meine Hand. »Willst du es versuchen?«
    Ich nicke.
    Er mustert mich und bezweifelt eindeutig, dass es funktionieren wird, doch ihm liegt vor allem daran, mir einen Gefallen zu tun. »Okay, dann mach's dir mal bequem, aber schlag die Beine nicht so übereinander. Das schneidet das Chi ab.«
    »Chi?«
    »Ein Modewort für Energie.« Er lächelt. »Es sei denn, du willst den Lotussitz einnehmen, das ist natürlich völlig in Ordnung.«
    Ich streife meine Flip-Flops ab, presse die Fußsohlen auf den mit Teppich bedeckten Boden und setze mich so

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