Der blaue Mond
trotzdem.
Doch Mr. Robins ist noch nicht bereit, mich vom Haken zu lassen. Er schüttelt nur den Kopf und sagt: »Ever, ich will auf keinen Fall Partei ergreifen oder mich zwischen dich und Damen stellen, weil mich das im Grunde nichts angeht und es letztlich etwas ist, was ihr selbst klären müsst. Und obwohl du neulich suspendiert worden bist, obwohl du im Unterricht kaum aufpasst und deinen iPod noch laufen lässt, wenn ich dich schon lange gebeten habe, ihn auszustellen - bist du immer noch eine meiner besten und intelligentesten Schülerinnen. Und ich fände es schlimm, wenn du deine hervorragenden Zukunftsaussichten gefährden würdest, nur wegen eines Jungen.«
Ich schließe die Augen. Dabei fühle ich mich so gedemütigt, dass ich mich am liebsten in Luft auflösen und verschwinden würde.
Nein, ehrlich gesagt ist es noch viel schlimmer - ich schäme mich abgrundtief, fühle mich entehrt, blamiert, erniedrigt und alles andere, was für »vor Scham im Erdboden versinken« steht.
»Es ist nicht so, wie Sie glauben«, sage ich, halte seinem Blick stand und beschwöre ihn insgeheim, es zu glauben. »Ganz egal, was Ihnen Damen auch erzählt haben mag, es ist absolut nicht so, wie es aussieht«, füge ich hinzu und höre Mr. Robins neben all den Gedanken in seinem Kopf seufzen. Wie sehr er sich doch wünscht, er könnte erzählen, wie verloren er sich gefühlt hat, als seine Frau und seine Tochter ihn verlassen haben, wie er dachte, er könne keinen einzigen weiteren Tag mehr durchstehen - doch er fürchtet, es könnte unpassend sein, womit er Recht hat.
»Wenn du dir einfach ein bisschen Zeit lässt und dich auf etwas anderes konzentriert«, sagt er und will mir ehrlich helfen, obwohl er Angst hat, seine Grenzen zu überschreiten, »dann wirst du bald feststellen, dass ...« Es klingelt.
Ich hieve mir meinen Rucksack über die Schulter, presse die Lippen aufeinander und sehe ihn an.
Er schüttelt den Kopf und sagt: »In Ordnung. Ich schreibe dir einen Verspätungsschein. Du kannst jetzt gehen.«
EINUNDZWANZIG
Ich bin ein YouTube-Star. Das Filmmaterial, auf dem ich mich aus einer scheinbar endlosen Kette von Victoria's-Secret-BHs, String-Tangas und Strapsen befreie, hat mir nicht nur den ach so intelligenten Spitznamen »Freak« eingebracht, sondern wurde auch bereits 2.323-mal angeklickt. Was ziemlich genau der Schülerzahl der Bay View High entspricht. Na ja, ein paar Lehrer eingeschlossen.
Haven macht mich darauf aufmerksam. Ich treffe sie an ihrem Spind, nachdem ich mit knapper Not ein Spießrutenlaufen überstanden habe, bei dem mir die Leute von allen Seiten zuriefen: »Hey, Freak! Fall nicht hin, Freak!«, und sie ist so nett, mich nicht nur über den Grund meiner plötzlichen Berühmtheit aufzuklären, sondern mich auch zu dem Video zu lotsen, damit ich mich auf meinem iPhone selbst dabei bewundern kann, wie ich mich freakmäßig aufführe.
»Oh, echt super«, sage ich und schüttele den Kopf, da ich weiß, dass dies eines meiner kleinsten Probleme ist, aber trotzdem.
»Es ist ziemlich bescheuert«, stimmt sie mir zu, schließt ihren Spind ab und sieht mich mit einem Gesichtsausdruck an, den man nur als mitleidig deuten kann - na ja, Mitleid in Zeitnot, denn für einen Freak wie mich bleiben nur ein paar Sekunden. »Und, war noch was? Ich muss nämlich los, ich hab Honor versprochen, dass ich ...«
Ich sehe sie an, ich meine, ich sehe sie richtig an. Ich sehe, dass ihre flammend rote Haarsträhne mittlerweile pinkfarben ist und ihr gewohnter Emu-Look mit blassem Teint und dunklen Sachen dem Style genau jener geklonten Cliquenmädchen mit ihrer künstlichen Bräune, den Glitzerklamotten und den aufgebauschten Haaren gewichen ist, über die sie sich früher immer lustig gemacht hat. Doch trotz ihres neuen Kleidungsstils, trotz ihrer neuen Zugehörigkeit zur Elite, trotz all der Beweise, die sie mir präsentiert, glaube ich einfach nicht, dass sie zurzeit für irgendetwas, was sie anhat, sagt oder tut, selbst verantwortlich ist. Denn obwohl Haven dazu neigt, sich an andere anzuhängen und sie zu imitieren, hat sie immer noch ihre Maßstäbe. Und ich weiß hundertprozentig, dass die Brigade um Stada und Honor eine Gruppe ist, zu der sie noch nie gehören wollte.
Doch selbst mein ganzes Wissen macht es nicht leichter, all das zu akzeptieren. Und obwohl ich weiß, dass es mit Sicherheit nichts ändern wird, sage ich: »Ich kann nicht glauben, dass du mit denen befreundet bist. Ich meine, nach
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