Der blaue Mond
Zeit nicht mit einer Antwort.
»Und wie ich sehe, hast du noch Platz für einen Beifahrer. Darf ich mitkommen?«
»Nein, darfst du nicht. Wenn du jetzt freundlicherweise deine Hand wegnehmen würdest.« Ich gestikuliere zu seiner Hand und mache mit den Fingern das internationale Zeichen für »verzieh dich«.
Er hebt ergeben die Hände und schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, Ever, aber je mehr du mir ausweichst, desto schneller bin ich hinter dir her. Es wäre ein ganzes Stück einfacher für uns, wenn du aufhören würdest davonzulaufen.«
Ich kneife die Augen zusammen und versuche, über seine sonnige Aura und die wohlgeordneten Gedanken hinauszublicken, doch ich werde von einer derart undurchdringlichen Barriere abgeblockt, dass es entweder tatsächlich eine Sackgasse ist oder er noch viel schlimmer ist, als ich dachte.
»Wenn du aufs Jagen bestehst«, sage ich, wobei meine Stimme wesentlich sicherer klingt, als ich mich fühle, »dann fang lieber schon mal mit dem Training an, denn dir steht ein Marathon bevor.«
Er zuckt zusammen und weicht zurück, während sich seine Augen weiten, als hätte ihn etwas gestochen. Und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich das für echt halten. Doch ich weiß es besser. Er mimt das Ganze nur und gibt ein paar Gesichtsausdrücke zum Besten, um eine theatralische Wirkung zu erzielen. Aber ich habe keine Zeit, um als Zielscheibe seiner Witze herzuhalten.
Ich lege den Rückwärtsgang ein und stoße aus meiner Parklücke in der Hoffnung, damit einen Schlusspunkt zu setzen.
Aber er lacht nur und schlägt mit der Hand auf meine Motorhaube. »Wie du willst, Ever«, sagt er. »Das Spiel läuft.«
ZWEIUNDZWANZIG
Ich fahre nicht nach Hause. Obwohl ich schon dorthin unterwegs war, denn eigentlich wollte ich in mein Zimmer stürmen, mich aufs Bett werfen, das Gesicht in einem dicken Stapel Kissen vergraben und mir die Augen ausweinen wie ein jämmerliches Riesenbaby.
Doch kaum bin ich in meine Straße eingebogen, überlege ich es mir anders. Ich meine, diesen Luxus kann ich mir einfach nicht erlauben. So viel Zeit habe ich nicht. Also wende ich stattdessen und mache mich auf in die Innenstadt von Laguna Beach. Langsam fahre ich durch die engen, steilen Straßen, vorbei an gepflegten Bungalows mit herrlichen Gärten und den Protzvillen in Billigbauweise direkt daneben. Ich bin unterwegs zu der einzigen Person, die mir helfen kann.
»Ever.« Sie lächelt und streift sich das wellige rotbraune Haar aus dem Gesicht, während sie mich aus ihren großen braunen Augen ansieht. Und obwohl ich unangemeldet komme, wirkt sie nicht im Mindesten erstaunt. Ihre hellseherischen Fähigkeiten machen es schwer, sie zu überraschen.
»Tut mir leid, dass ich einfach so auftauche, ohne vorher anzurufen, aber ich hab irgendwie ...«
Doch sie lässt mich gar nicht ausreden. Sie macht einfach die Tür auf, winkt mich herein und geleitet mich zum Küchentisch, an dem ich schon einmal gesessen habe - als ich letztes Mal in Schwierigkeiten war und mich niemandem anvertrauen konnte.
Anfangs habe ich sie gehasst, wirklich gehasst. Und als sie angefangen hat, Riley dazu zu überreden weiterzuziehen - die Brücke nach dorthin zu überqueren, wo unsere Eltern und Buttercup warteten -, wurde es noch schlimmer. Obwohl ich sie damals für meine schlimmste Feindin neben Stacia hielt, kommt mir das heute nicht mehr ganz weit weg vor. Und während sie sich in der Küche zu schaffen macht, Kekse herausholt und grünen Tee aufbrüht, sehe ich zu und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht mehr gemeldet habe und nur vorbeikomme, wenn ich nicht mehr weiterweiß.
Wir tauschen die üblichen Höflichkeiten aus, ehe sie sich mir gegenübersetzt und ihre Teetasse in beide Hände nimmt. »Du bist gewachsen!«, sagt sie. »Ich weiß ja, dass ich klein bin, aber jetzt überragst du mich wirklich!«
Ich zucke die Achseln und weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll, aber langsam sollte ich mich daran gewöhnen. Wenn man innerhalb weniger Tage acht Zentimeter wächst, fällt das natürlich auf. »Anscheinend bin ich eine Spätentwicklerin. Wahrscheinlich ist es ein Wachstumsschub oder so was«, sage ich. Das Lächeln liegt schief auf meinen Lippen, und ich weiß, dass ich mir eine wesentlich einleuchtendere Erklärung zurechtlegen oder wenigstens lernen muss, mit Nachdruck zu antworten.
Sie sieht mich an und nickt. Obwohl sie mir kein Wort abnimmt, lässt sie es einfach so
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