Der blaue Mond
findest deine Antworten drinnen. Uns brauchst du jetzt nicht mehr.«
»Aber wo fange ich an?«
Romy äugt zu ihrer Schwester hinüber, woraufhin sie sich mit Blicken verständigen. Dann wendet sie sich mir zu und sagt: »Du musst die Akasha-Chronik suchen. Das ist ein ewiges Archiv von allem, was je gesagt, gedacht oder getan worden ist - oder je gesagt, gedacht oder getan werden wird. Doch du wirst sie nur finden, wenn es dir zugedacht ist. Wenn nicht ...« Sie zuckt die Achseln und möchte es am liebsten dabei belassen, doch mein panischer Blick veranlasst sie weiterzusprechen. »Wenn es dir nicht zugedacht ist, das Wissen zu erlangen, dann erlangst du es auch nicht. Ganz einfach.«
Ich stehe da, denke mir, dass das ja überhaupt nicht beruhigend war und bin beinahe erleichtert, als sie sich alle beide zum Gehen wenden.
»Jetzt müssen wir gehen, Miss Ever Bloom«, sagt sie, indem sie mich mit meinem vollen Namen anspricht, obwohl ich mir sicher bin, dass ich den nie genannt habe. »Aber wir sehen uns bestimmt wieder.«
Ich blicke ihnen nach, als mir noch eine letzte Frage einfällt. »Aber wie komme ich zurück?«, rufe ich. »Ihr wisst schon, wenn ich hier fertig bin.«
Raynes Rücken wird steif, während Romy sich mit nachsichtigem Lächeln zu mir umdreht. »Genauso, wie du hergekommen bist. Durch das Portal natürlich.«
SECHSUNDZWANZIG
Sowie ich mich der Tür zuwende, geht sie vor mir auf. Und da es keine von diesen automatischen Türen ist, wie man sie in Supermärkten findet, nehme ich an, es heißt, dass ich für würdig erachtet werde einzutreten.
Ich komme in eine große, weite Eingangshalle, die von strahlendem, warmem Licht erfüllt ist - ein allgegenwärtiges leuchtendes Strahlen, das wie überall im Sommerland jede Ecke durchdringt, jeden Winkel, jeden Raum und keinen Platz für Schatten oder dunkle Stellen lässt und nicht aus einer bestimmten Quelle zu kommen scheint. Dann gehe ich durch einen Korridor, der auf jeder Seite von einer Reihe weißer Marmorsäulen im Stil des antiken Griechenland flankiert wird. Dort sitzen an langen Holztischen Mönche in Kutten neben Priestern, Rabbis, Schamanen und allen Arten von Suchenden. Sie alle spähen in große Kristallkugeln und auf Levitationstafeln und betrachten die sich darbietenden Bilder.
Ich bleibe stehen und überlege, ob es unhöflich wäre, sie zu unterbrechen und zu fragen, ob sie mir sagen können, wie ich die Akasha-Chronik finde. Doch es herrscht solche Stille, und sie sind alle so vertieft, dass ich sie nicht stören will und stattdessen weitergehe. Ich komme an mehreren großartigen Statuen aus strahlend weißem Marmor vorbei, ehe ich einen großen, ausgeschmückten Raum betrete, der mich an die Kathedralen Italiens erinnert (oder zumindest an die Bilder, die ich davon gesehen habe). Genau wie diese besitzen sie Kuppeln, Buntglasfenster und aufwändige Fresken mit derart herrlichen Bildern, dass selbst Michelangelo zu Tränen gerührt gewesen wäre.
Ich stehe in der Mitte, den Kopf staunend in den Nacken gelegt, während ich versuche, alles aufzunehmen. Wieder und wieder drehe ich mich um mich selbst, bis ich müde bin und mir schwindelig wird und ich begreife, dass es unmöglich ist, alles in nur einem Besuch zu erfassen. Da ich bereits genug Zeit verschwendet habe, mache ich die Augen fest zu und folge Romys Rat - dass ich mir zuerst etwas wünschen muss, damit es existieren kann. Und kaum habe ich darum gebeten, zu den Antworten geführt zu werden, die ich suche, schlage ich die Augen auf, und ein langer Korridor erscheint.
Dort ist das Licht schwächer, als ich es bisher gewohnt bin - es ist eher ein schimmerndes Glühen. Und obwohl ich keine Ahnung habe, wohin der Gang führt, gehe ich los. Ich folge dem schönen, scheinbar endlosen persischen Läufer, fahre mit den Händen über eine von Hieroglyphen bedeckte Wand, wobei meine Fingerspitzen die Bilder berühren, während ihr Inhalt in meinem Kopf erscheint. Die gesamte Geschichte entfaltet sich nur durch Berührung, wie eine Art telepathische Blindenschrift.
Dann, auf einmal, ohne Vorwarnung, stehe ich am Eingang zu einem weiteren kunstvoll ausgestalteten Raum, nur dass dieser auf andere Art kunstvoll ist - nämlich nicht durch Statuen oder Wandschmuck, sondern durch seine reine, unverfälschte Schlichtheit.
Die gerundeten Wände sind glatt und glänzend, und obwohl sie im ersten Moment nur schlicht weiß erscheinen, erkenne ich bei näherer Inspektion, dass an ihnen
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