Der blaue Mond
als mich. Und es freut mich, dass sie bald ein wenig Ruhe haben wird.
»Die ist eine kleine Quacksalberin«, sage ich. »Eine richtige Aspirintante, und du weißt ja, dass das bei mir nicht wirkt. Ich musste einfach nach Hause fahren und mich eine Weile hinlegen. Das ist das Einzige, was hilft. Also bin ich gegangen.«
»Und hast du's dann gemacht?« Sie beugt sich zu mir. »Bist du nach Hause gefahren?« Sowie sich unsere Blicke begegnen, weiß ich, dass es eine Herausforderung ist. Ein Test.
»Nein.« Ich seufze und schaue auf den Teppich, während ich symbolisch die weiße Fahne schwenke. »Ich bin zum Canyon gefahren und habe ...«
Sie mustert mich und wartet.
»Und da habe ich mich ein bisschen vertrödelt.« Ich hole tief Luft und schlucke schwer, da ich weiß, dass ich der Wahrheit nicht näher kommen darf.
»Ever, ist es wegen Damen?«
Und sowie ich ihr in die Augen sehe, verliere ich die Beherrschung und breche in Tränen aus.
»Ach du liebe Zeit«, sagt sie leise und breitet die Arme aus, woraufhin ich vom Stuhl aufspringe und mich in die Umarmung fallen lasse. Da ich noch nicht an meine neue schlaksige Figur gewöhnt bin, stelle ich mich dermaßen ungeschickt an, dass ich sie beinahe zu Boden werfe.
»Entschuldige«, sage ich. »Ich ...« Doch ich kann nicht zu Ende sprechen. Eine zweite Tränenflut überkommt mich, und ich schluchze erneut.
Sie streichelt mir übers Haar, während ich immer weiterweine. »Ich weiß, wie sehr er dir fehlt«, sagt sie. »Ich weiß, wie schlimm das sein muss.«
Doch sowie sie es ausgesprochen hat, weiche ich zurück. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich so tue, als ginge es um Damen, obwohl es in Wahrheit nur zum Teil um ihn geht. Es geht auch darum, dass ich meine Freunde vermisse - in Laguna Beach und in Oregon. Und darum, dass ich mein Leben vermisse - das Leben, das ich mir hier aufgebaut habe, und das, zu dem ich bald zurückkehren werde. Denn obwohl auf der Hand liegt, dass sie ohne mich besser dran sind, und zwar ausnahmslos alle, Damen eingeschlossen, macht es das nicht die Spur leichter.
Doch es muss sein. Es gibt keine andere Wahl.
Und wenn ich auf diese Art daran denke, wird es irgendwie leichter. Denn in Wirklichkeit habe ich, ganz gleich aus welchem Grund, eine sagenhafte Gelegenheit bekommen, wie man sie nur einmal im Leben kriegt.
Aber jetzt ist es Zeit, nach Hause zurückzukehren.
Ich wünschte nur, ich hätte ein bisschen mehr Zeit zum Abschiednehmen.
Als der Gedanke daran eine neue Tränenflut mit sich bringt, umarmt Sabine mich fester und flüstert aufmunternde Worte, während ich mich an sie klammere, geborgen im Kokon ihrer Umarmung, wo sich alles sicher anfühlt -und warm - und richtig - und ungefährlich.
Als ob alles wieder gut wird.
Und während ich mich mit geschlossenen Augen enger an sie kuschele, das Gesicht in der Stelle vergrabe, wo ihre Schulter in den Hals übergeht, bewege ich leicht die Lippen und wispere ein stilles Auf Wiedersehen.
VIERZIG
Ich wache früh auf. Da es der letzte Tag meines Lebens ist oder zumindest der letzte Tag des Lebens, das ich mir hier aufgebaut habe, möchte ich ihn so gut wie möglich nutzen. Und obwohl ich mir sicher bin, dass ich wieder mit lauten Sprechchören von Freak! und Hexe! begrüßt werde, macht es einen gewaltigen Unterschied zu wissen, dass ich es nur noch dieses letzte Mal über mich ergehen lassen muss.
An der Hillcrest High (der Schule, an die ich zurückkehre), habe ich massenhaft Freunde, was das Hingehen von Montag bis Freitag wesentlich angenehmer, ja sogar zu einem Vergnügen macht. Und soweit ich mich erinnern kann, war ich nie versucht zu schwänzen (wie ich es hier die ganze Zeit bin), und ich war auch nicht deprimiert, weil ich nicht dazugehört hätte.
Und, ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich genau deswegen so scharf darauf bin zurückzukehren. Denn abgesehen von der naheliegenden Vorfreude darauf, wieder mit meiner Familie zusammen zu sein, erleichtert es mir die Entscheidung schon sehr, bald Freunde um mich zu haben, die mich mögen und akzeptieren und bei denen ich so sein kann, wie ich bin.
Eine Entscheidung, über die ich nicht zweimal nachdenken würde, wenn Damen nicht wäre.
Und obwohl ich mich nicht damit abfinden kann, dass ich ihn nie wiedersehen werde - nie wieder seine Haut fühlen, seinen warmen Blick oder seine Lippen auf meinen spüren werde -, bin ich bereit, alles aufzugeben.
Wenn das bedeutet, mein altes Ich wiederzubekommen und zu
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