Der blaue Stern
bemerkte sie das Licht von Fackeln, das sich ihr langsam näherte. Von den Trägern selbst war noch nichts zu sehen. In dem wilden Durcheinander von Schreien und Pfiffen floh sie, und hoffte, daß sie nicht einem saumseligen Raggah in die Arme lief, oder einem Soldaten.
Mashas Behausung lag im zweiten Stock eines Lehmziegelhauses, das mit zwei weiteren einen Block bildete. Sie betrat es von der Seite, aus der Straße des versiegten Brunnens. Zuerst mußte sie jedoch Shmurt, den alten Pförtner wecken, indem sie an die dicke Eichentür klopfte. Er brummte etwas von später Stunde, zog den Riegel zurück und ließ sie ein. Sie gab ihm einen Padpool, eine kleine Kupfermünze, für seine Mühe und sein Schweigen. Er reichte ihr ihre Öllampe, sie entzündete sie und stieg die Steinstufen hinauf.
Um in die Wohnung zu kommen, mußte sie ihre Mutter _ wecken. Wallu gähnte und blinzelte im Licht einer Öllampe an der Ecke. _ Masha trat ein und löschte sogleich ihre Lampe. Öl war teuer, und viele Nächte schon hatten sie im Dunkeln zubringen müssen.
Wallu, eine große, dürre Frau von fünfzig, mit hängenden Brüsten und tief ins Gesicht gegrabenen Falten, küßte ihre Tochter auf die Wange. Ihr Atem roch sauer vom Schlaf und Ziegenkäse. Aber Masha freute sich über den flüchtigen Kuß. In ihrem Leben war wenig Platz für Zärtlichkeit. Und doch war sie voll davon. Sie war wie ein Gefäß, das zu platzen drohte, weil es zu voll war.
Das Licht auf dem wackeligen Tisch in der Ecke erhellte spärlich den Raum mit den kahlen Wänden ohne Teppiche. In der hinteren Ecke schliefen die beiden Kinder auf übereinandergeschichteten, zerschlissenen, aber sauberen Decken. Neben ihnen stand ein kleiner Nachttopf aus gebranntem Ton, der mit den ineinander verschlungenen, scharlachfarbenen und schwarzen Ringen der Darmek-Zunft bemalt war.
Eine andere Ecke beherbergte ihr Werkzeug zur Herstellung falscher Zähne: Wachs, Gußformen, winzige Meißel, Sägen, teurer Draht, Hartholz, Eisen und ein Block Elfenbein. Erst vor kurzem hatte sie das Geld zurückzahlen können, das sie für den Kauf hatte borgen müssen. In der gegenüberliegenden Ecke befand sich Wallus Liegestätte und daneben ein Nachttopf mit denselben Verzierungen. Ein uraltes, wackeliges Spinnrad war in der Nähe. Wallu verdiente damit etwas Geld, aber nicht viel. Ihre Hände waren von Arthritis verkrüppelt, eines ihrer Augen war trüb, und das andere verlor aus unbekannten Gründen nach und nach die Sehkraft.
Entlang der Lehmwand stand ein Holzkohleofen aus Messing, und darüber befand sich der hölzerne Abzug. In einer Kiste war Holzkohle. Ein großer Schrank seitlich davon enthielt Getreide, etwas getrocknetes Fleisch, Teller und Messer. An der Seite war ein Krug aus gebranntem Ton für Wasser, daneben ein weiteres Lager aus Decken.
Wallu deutete auf den Vorhang, der die Tür zum angrenzenden Raum ersetzte. »Er kam heute früh nach Hause. Seine Freunde haben ihm wohl nicht allzuviel zu trinken spendiert. Aber er ist besoffen genug, daß es für zwölf Seeleute reichen würde.«
Masha schnitt eine Grimasse, ging zum Vorhang und schob ihn zur Seite.
»Shewaw!« (Ein Ausdruck des Ekels.)
Der Gestank, der ihr in die Nase drang, war derselbe, der ihr manchmal aus der Schenke Zum Wilden Einhorn entgegenschlug: eine Mischung aus Wein und Bier, altem und frischem Schweiß, Erbrochenem und Urin, gebratenen Blutwürsten, Krrf und Kleetel.
Eevroen lag auf dem Rücken, sein Mund stand offen, und seine Arme waren weit ausgebreitet. Er war einst ein hochgewachsener, muskulöser Jüngling mit sehr breiten Schultern, schlanker Taille und langen Beinen gewesen. Jetzt war er fett, fett, fett, hatte ein Doppelkinn und massige Ringe schwabbeligen Fettes um die Mitte. Die einst so strahlenden Augen waren nun rot unterlaufen und verschwanden fast hinter den dunklen Tränensäcken, und der früher so süße Atem stank jetzt schier unerträglich. Er war eingeschlafen, ohne sich vorher auszuziehen, sein Wams, schmutzig und mit den verschiedensten Dingen befleckt, einschließlich Erbrochenem, war zerrissen. Er trug abgelegte Sandalen, vielleicht hatte er sie auch gestohlen.
Masha weinte seinetwegen schon lange nicht mehr. Sie stieß ihm in die Rippen, was ihn veranlaßte, einen Grunzlaut auszustoßen und ein Auge zu öffnen. Aber es schloß sich gleich wieder, und er schnarchte sofort weiter wie ein Schwein. Das wenigstens war ein Segen. Wie viele Nächte hatte sie damit
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