Der blaue Stern
hochgewachsener junger Mann in zerschlissenem Wams, engen Beinkleidern und Stiefeln aus Hirschleder. Er hielt an, stützte sich gegen die Ecke und sah sich um. Sein keuchender Atem klang wie ein rostiges Tor, das der Wind hin und her bewegte.
Jemand verfolgte ihn. Sollte sie hierbleiben und abwarten? Er hatte sie nicht bemerkt, aber würden auch seine Verfolger zu beschäftigt sein und sie übersehen?
Der Junge wandte ihr sein Gesicht zu, und sie hielt den Atem an. Es war so verschwollen, daß sie ihn beinahe nicht erkannt hätte. Es war Benna nus-Katarz, der vor zwei Jahren von Ilsig hierhergekommen war. Niemand wußte warum, aber nach dem ungeschriebenen Gesetz von Freistatt fragte ihn auch keiner.
Sogar im Mondlicht und über die Straße hinweg, konnte sie die Schwellungen und dunklen Flecken in seinem Gesicht und an den Händen erkennen, die wie Quetschungen aussahen, seine Finger erinnerten an verfaulende Bananen.
Er wandte sich nochmals um und spähte um die Ecke. Sein Atem klang nun weniger schwer. Sie konnte seine Verfolger bereits hören, bald würden sie hier sein.
Benna stieß einen leisen, klagenden Laut der Verzweiflung aus. Er stolperte weiter die Straße hinunter und hielt vor einem Haufen Abfall inne. Eine Ratte kroch daraus hervor, blieb ein paar Schritte vor ihm stehen und quiekte. Die Ratten von Freistatt waren mutige Tiere.
Jetzt vermochte Masha die herbeieilenden Verfolger bereits deutlich zu hören, auch Worte, die wie das Reißen von Papier klangen, drangen an ihr Ohr.
Benna stöhnte. Er griff mit den geschwollenen Fingern unter sein Wams und holte etwas hervor. Obwohl Masha ihn aufmerksam beobachtete, konnte sie nicht erkennen, was es war. Lautlos tastete sie sich an der Wand entlang auf einen Hauseingang zu. Die Dunkelheit dort würde ihr noch mehr Deckung geben.
Benna blickte auf den Gegenstand in seiner Hand. Er sagte etwas, und Masha hielt es für einen Fluch. Sie war sich nicht sicher, denn er sprach im Dialekt der Ilsig.
Das Baby über ihr weinte nicht mehr. Seine Mutter hatte ihm wohl die Brust gegeben oder etwas Wasser, dem ein Mittel zur Beruhigung beigemischt war.
Jetzt zog Benna erneut etwas aus seinem Wams hervor. Was immer es war, er wickelte es um das andere Ding und warf es der Ratte vor.
Das ziemlich große graue Tier rannte weg, als es den Gegenstand in hohem Bogen auf sich zufliegen sah. Einen Herzschlag später jedoch kam es zurück und beschnüffelte den kleinen Ball. Dann schnellte es, immer noch schnüffelnd, vorwärts, berührte ihn mit der Schnauze, kostete vielleicht davon, und rannte weg, den Gegenstand in der Schnauze.
Masha beobachtete, wie die Ratte sich durch einen Spalt in dem alten Lehmziegelhaus an der nächsten Ecke zwängte. Niemand lebte dort. Es verfiel schon seit Jahren, keiner kümmerte sich darum, selbst verzweifelte Obdachlose und Landstreicher mieden es.
Man munkelte, daß der Geist des alten Lahboo Eisenfaust seit seiner Ermordung in dem Haus spukte, und niemand legte Wert darauf, die Wahrheit der Geschichten, die man sich über dieses Haus erzählte, zu ergründen.
Benna, dessen Atem noch immer etwas schwer ging, tappte hinter der Ratte her. Masha hörte die Schritte der Verfolger näherkommen und glitt weiter an der Mauer entlang, wobei sie sich stets im Schatten hielt. Sie interessierte sich für das, was Benna von sich geworfen hatte, wollte aber auf keinen Fall mit ihm in Verbindung gebracht werden, wenn seine Jäger ihn einholten.
An der Ecke blieb der Jüngling stehen und sah sich um. Es schien, als könnte er sich nicht entscheiden, in welche Richtung er sich wenden sollte. Er schwankte und stürzte auf die Knie. Stöhnend kippte er nach vorne. Mit ausgestreckten Armen versuchte er seinen Fall abzufangen.
Masha hatte vor, ihn seinem Schicksal zu überlassen. Es war das Vernünftigste, was sie tun konnte. Als sie jedoch um die Ecke bog, hörte sie ihn ächzen. Dann war ihr, als sagte er etwas von einem Juwel.
Sie hielt inne. War es das, was er, vielleicht in ein Stück Käse gedrückt, der Ratte vorgeworfen hatte? Bestimmt war es mehr Geld wert, als sie in ihrem ganzen Leben verdienen konnte. Wenn sie es nur an sich bringen könnte. Ihre Gedanken rasten, ihr Herz schlug heftig, und ihr Atem ging schwer. Ein Juwel! Ein Juwel? Damit könnte sie sich ein besseres Leben leisten, sich, ihrer Mutter und ihren Kindern.
Vielleicht würde sie sogar Eevroen los.
Sie dachte aber auch an die schreckliche Gefahr, die ihr drohte. Sie
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