Der blaue Stern
hier liegen«, sagte sie. »Ich will mir nicht das Kreuz brechen, nur um ihn in unser Bett zurückzuschleppen. Abgesehen davon stinkt er so gräßlich und schnarcht so laut, daß ich ohnehin neben ihm nicht schlafen könnte.«
Eigentlich hätte sie sich Sorgen machen müssen, was er am nächsten Morgen vielleicht tun würde. Aber sie fühlte sich merkwürdigerweise überschwenglich gut. Endlich hatte sie getan, was schon seit Jahren anstand, und das besänftigte ihren Ärger - fürs erste zumindest.
Sie ging in ihr Zimmer und malte sich aus, wieviel schöner ihr Leben ohne Eevroen wäre. Ihre Gedanken wanderten, und ehe sie einschlief, dachte sie daran, welches Leben sie führen könnte, besäße sie das Juwel, das Benna der Ratte vorgeworfen hatte.
Sie erwachte etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang, was für sie ungewöhnlich spät war. Der Duft von Brot, das eben gebacken wurde, stieg ihr in die Nase. Nachdem sie auf dem Nachttopf gesessen hatte, erhob sie sich und zog den Vorhang zur Seite. Sie wunderte sich, warum es im nächsten Zimmer so ruhig war. Eevroen war weg. Die Kinder auch. Wallu, die die kleinen Glöckchen am Vorhang gehört hatte, wandte sich zu ihr um.
»Ich habe die Kinder zum Spielen hinausgeschickt«, sagte sie. »Eevroen stand bei Sonnenaufgang auf. Er behauptete, daß er nicht mehr wüßte, was in der Nacht vorgefallen war, aber ich kann beschwören, daß er gelogen hat. Er stöhnte ein wenig, es tat ihm wohl der Kopf weh. Dann frühstückte er einen Bissen und verließ das Haus.« Wallu grinste. »Ich glaube, er hat Angst vor dir.«
»Gut!« brummte Masha. »Hoffentlich bleibt das so.«
Sie setzte sich, während Wallu umherhinkte und ihr einen halben Laib Brot, ein Stück Segenkäse und eine Orange brachte. Masha fragte sich, ob ihr Mann sich wohl an das erinnerte, was sie ihrer Mutter über Benna und den Edelstein erzählt hatte.
Er erinnerte sich!
Als sie mit dem Klappstuhl unter dem Arm, auf den sie ihre Patienten setzte, zum Basar ging, umringten sie sofort ganze Scharen von Männern und Frauen. Alle wollten etwas von dem Juwel wissen.
Der verdammte Idiot! dachte sie.
Eevroen versorgte sich heute mit Trinkbarem, indem er seine Geschichte erzählte. Wo immer er umherstolperte - in den Schenken, im Basar, auf dem Bauernmarkt und im Hafen -, überall verbreitete er seine Neuigkeiten. Offensichtlich aber erwähnte er nichts davon, daß Masha ihn ohnmächtig geschlagen hatte. Es hätte ihm nur Spott eingebracht, und er hatte anscheinend noch genug Stolz, den Vorfall zu verschweigen.
Zunächst versuchte Masha, alles zu leugnen. Sie erkannte jedoch, daß die meisten ihr nicht glauben würden, jeder würde meinen, sie hätte den Stein. Ihr Leben wäre von da an nicht mehr viel wert. Vielleicht verlöre sie es sogar. Es gab viele, die nicht zögerten, sie an einen abgelegenen Ort zu schleppen und sie so lange zu foltern, bis sie verriet, wo der Edelstein war.
Also beschrieb sie genau, was geschehen war, erwähnte jedoch nicht, daß sie versucht hatte, Eevroen den Schädel einzuschlagen. Wenn sie ihn öffentlich lächerlich machte, würde er vielleicht wütend und verprügelte sie.
An diesem Tag hatte sie nur einen Patienten. Denn so schnell jene wegrannten, die die Geschichten gehört hatten, um nach Ratten zu suchen, so schnell nahmen andere ihren Platz ein. Und dann kamen, was unvermeidlich war, die Soldaten des Statthalters. Sie war überrascht, daß sie nicht schon früher erschienen waren. Sicherlich hatte einer ihrer Informanten ihnen die Neuigkeit zugetragen, sofort nachdem er sie selbst erfahren hatte. Und das mußte gleich gewesen sein, nachdem sie in den Basar gekommen war.
Erst wurde sie vom Unteroffizier befragt, dann nahmen sie sie zum Wachhaus mit. Dort erzählte sie einem Hauptmann ihre Geschichte. Anschließend mußte sie einem Oberst noch einmal dasselbe berichten. Nachdem sie dann mindestens zwei Stunden in einem Raum zugebracht hatte, brachte man sie zum Statthalter. Der gutaussehende Jüngling hielt sie erstaunlicherweise nicht lange auf. Er hatte offenbar über ihre Schritte Nachforschungen angestellt. Er mußte einen Zeitplan angefertigt haben, von dem Zeitpunkt, da sie Shoozs Haus verließ, bis zu dem Augenblick, als sie heimkam. Also hatte man ihre Mutter ebenfalls befragt.
Einem Gardisten waren zwei fliehende Raggah aufgefallen, das bestätigte ihre Aussage.
»Na, Masha«, sagte der Statthalter. »Da habt Ihr ja ein Rattennest aufgescheucht.« Er lächelte
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