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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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für alle Zutaten gesorgt. Wir können Brot backen. Genauso hat Er die Diamanten rau und uneben erschaffen und fordert uns auf, das Schönste und Reinste an ihnen zum Vorschein zu bringen.«
    Landau verstummte.
    »Denkt Gott auch so über Zigarren?«, fragte ich.
    »Niemand weiß, was Gott denkt, doch ich glaube, Er verlangt, dass wir stets unser Bestes geben. Meine Augen sind nicht mehr gut genug zum Schleifen. Ich beklage mich aber nicht. Im Gegenteil, ich schätze mich glücklich, dass ich die Tabakblätter sehen kann.«
    Mutter sagte: »Eigentlich geht der Beruf vom Vater auf den Sohn über, aber …«
    Ich unterbrach sie mit einem höflichen Dankeschön, gab Landau die Hand und stand auf. »Ich gehe ins Bett.«
    Über Väter und Söhne wollte ich nichts hören.
    Landaus Stimme drang bis in mein Zimmer. Mich störte das monotone Geräusch, das sich einen Platz zwischen dem Ticken der Uhr und dem Tropfen des Wasserhahns erobern wollte, doch als es verstummte, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als es wieder zu hören.
    Genau ein Jahr nach diesem Abend trat meine Mutter mit Landau in den Stand der Ehe, schnell und schlicht.
    »Alleine lebe ich ohne Freude, ohne Segen und Glück«, hatte Landau zu ihr gesagt, »und du lebst ohne Thora und ohne Schutz.«
    Bei den Hochzeitsverhandlungen gelang es meiner Mutter, ihren Zukünftigen davon zu überzeugen, dass die Rituale, auf die er Wert legte, bei einer zweiten Ehe weniger gebräuchlich waren. Was den Tag betraf, waren sie sich einig: Dienstag, der Tag der Schöpfung, an dem Gott gesehen hatte, dass alles gut war. Dass meine Mutter die rituelle Waschung in der Mikwe vollzog, um völlig gereinigt in die neue Ehe einzutreten, war selbstverständlich, genauso wie das Fasten am Tag selbst, die Segnungen und das Zerbrechen und Zertreten des Glases. Sie hatte auch nichts dagegen einzuwenden, dass man ihnen »Masel tov« wünschte, und selbstverständlich mussten die Gäste eine Mahlzeit vorgesetzt bekommen, und sei sie noch so bescheiden. Doch sie ließ nicht zu, dass gefeiert wurde, und die Hochzeitswoche, die Landau sich gewünscht hatte, mit noch mehr Gebeten, Essen und Trinken, wurde ebenfalls gestrichen.
    Es schien so, als wolle meine Mutter sich durch nichts an den Tag der Eheschließung mit Meijer Jacobson erinnern lassen.
    Die Perücke, die Landau ihr feierlich überreichen wollte, nahm meine Mutter nicht an. »Die trage ich ganz bestimmt nicht.«
    Landau versuchte noch eine ganze Weile, sie zu überreden, doch meine Mutter blieb standhaft. »Niemals.«
    Von der Hochzeitsfeierlichkeit ist mir vor allem das ganze Hin und Her in Erinnerung geblieben – später sollte ich hinzufügen: und das alles für nur sieben Jahre – und der Regen; es regnete ohne Unterlass. Es mag abergläubischer Unsinn sein, doch man könnte fast meinen, der Himmel habe damals bereits den Tod dieser beiden Menschenkinder beweint.

24
    Kurz nach der Hochzeit zog Landau mit seinem Zigarrenhandel bei uns ein. Es war merkwürdig, zu erleben, wie eine derart kleine Person so viel Raum einnehmen konnte.
    Ich fand Gefallen daran, Landau beim Entrippen der Tabakblätter und beim Rollen der Einlagen zu helfen, doch ich merkte sehr bald, dass zusammen mit seinen Zigarren auch die Gesetze bei uns Einzug gehalten hatten.
    Landau verlangte koscheres Essen – das meine Mutter kochte, weil sie das Gefühl hatte, auf zu viele seiner Forderungen nicht eingegangen zu sein – und am Samstag kam nun Mevrouw Van Groen, um unseren Ofen anzuzünden, und Landau sprach von der neschama jetera , der zusätzlichen Seele, die am Schabbat zu uns komme. Wir Juden hätten auf diese Weise mehr Muße für Erholung und Genuss. Dank dieser Seele könnten wir mehr essen und trinken, ohne unter Verdauungsstörungen zu leiden.
    »Am Schabbat herrscht Friede und Ruhe«, dozierte Landau, »ab Freitagabend sind wir eins mit dem Kosmos.«
    Kosmann verwendete in den Boxstunden ähnliche Worte. Wenn ich ihn richtig verstanden hatte, meinte er damit, dass alles Vergangene und alles Zukünftige ein und denselben Ursprung hatte. Alles sei von derselben Art und Form. So in etwa. Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, wie Kosmann uns in der Turnhalle rangenommen hatte; wenn ich mich in diese Zeitund an diesen Ort zurückversetzt hatte, konnte ich ihn die ersten Worte eines Abschnitts von ›Wege zu sich selbst‹ vorlesen hören – ja, sie fielen mir sogar wieder ein: »Wer das jetzt Vorhandene gesehen, der hat alles

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