Der blaue Vogel kehrt zurück
Aertszstraat.«
»Wird dann alles anders?«
»Ein paar Kleinigkeiten vielleicht. Ich weiß nicht.«
»Und das Boxen? Darf ich weiter boxen?«
Im Saal schrie jemand: »Tarzan, pass auf!« Der Affenmensch griff nach einer Liane, als habe er die Warnung gehört, und schwang sich aus der Gefahrenzone.
Die Antwort meiner Mutter ließ lange auf sich warten. Woran sie wohl dachte? Daran, dass der Neue das Boxen ablehnen würde, oder daran, wie sehr ihr verstorbener Ehemann es geliebt hatte?
Ich stellte mir vor, mein Vater würde meine Mutter in die Arme schließen und sie mit einem Tarzanruf hoch oben in den Bäumen in Sicherheit bringen.
»Na gut«, sagte sie, »ich kann dich ja doch nicht davon abhalten.«
23
Eines Abends erwarteten wir Landau zu Besuch. Tagelang hatte meine Mutter ihn mir angepriesen. Bei allen gut angesehen und hoch geschätzt sei er. Die von ihm hergestellten Zigarren seien sehr beliebt. Er habe ein sehr angenehmes Wesen und könne gut zuhören. Es war fast so, als wollte sie mich überreden, einen Straßenköter bei uns aufzunehmen.
Mir fiel beim besten Willen nichts ein, was ich an Landau auszusetzen haben könnte, außer dass er keinerlei Ähnlichkeit mit meinem Vater hatte. Er war klein, kleiner noch als meine Mutter. Nicht nur von der Statur, sondern auch von seinem Auftreten her: Er war vorsichtig, still, zurückhaltend.
»Außerdem«, sagte meine Mutter und machte eine Pause, um anzudeuten, dass sie eine Überraschung für mich in petto hatte, »hast du dank Meneer Landau vielleicht die Möglichkeit, bei Asscher einzutreten.«
»Aber Landau ist doch Zigarrenhersteller?«
»Jetzt schon, aber er war viele Jahre Diamantschleifer. Und du willst doch auch ins Fach?«
Ich bejahte, weil ich keine rechte Vorstellung hatte, was ich in Zukunft machen wollte, außer zu boxen. Und weil es mir leid tat, dass ich meiner Mutter bisher noch in keiner Weise entgegengekommen war.
Sie zupfte meinen Pullover zurecht, fuhr mir mit der Handdurchs Haar. Ich wusste, worum sie mich bitten wollte, und sagte: »Geht in Ordnung.«
Es klingelte, und ich machte die Tür auf. Landau sah zu mir hoch. Er nahm den Hut ab und sagte: »Guten Tag, Jonah.«
»Guten Tag.«
Nebeneinander, ungeschickt zusammenstoßend, traten wir in den Gang, wo Mutter uns mit verschränkten Händen erwartete.
»Hoppla«, sagte sie.
»Guten Abend, Hannah.« Landau schluckte. Sein Adamsapfel war ebenfalls kleiner als der meines Vaters.
Während er seinen Mantel aufhängte, ging ich weiter durch ins hintere Zimmer. Ich wusste nicht, ob meine Mutter diesen Mann küssen würde oder nicht – ich konnte es mir nicht vorstellen, aber ich wollte auf gar keinen Fall dabei sein.
Auf dem Tisch stand ein Tablett mit einer Teekanne, drei Tassen, drei Untertassen und einer Keksdose. Dort wurden ernste Angelegenheiten besprochen. Vaters Beerdigung. Meine Zukunft.
»Setz dich«, sagte meine Mutter. Sie schenkte Tee ein.
»So.«
Landau führte die Tasse zum Mund und pustete. Seine Brillengläser beschlugen.
Mein Vater hätte einen Witz darüber gemacht. Gelacht, mich angestupst, auf die Tischplatte geschlagen. Es schmerzte mich, an ihn zu denken, und dafür schämte ich mich; wenn ich nicht aufpasste, würde ich noch vor den Augen dieses Zigarrenherstellers anfangen zu flennen. Ich versuchte, mir eine von Kosmanns Lektionen ins Gedächtnis zu rufen.
Mit seiner breiten Brust, hart wie ein Eisenschild, sah ich ihn vor meinem geistigen Auge auf und ab hüpfen. Er vollführte diese lustigen Tanzschritte, die wir imitieren sollten. Fast stiegmir sein Geruch in die Nase, eine Mischung aus Süß und Salzig. Plötzlich schnellte seine linke Faust vor, der Handschuh traf meine Schulter. Tränen schossen mir in die Augen. Ich versuchte zurückzuschlagen, doch das gelang mir nicht. Nach einer Weile hielt Kosmann inne und nahm mich beiseite.
»Denk dran«, sagte er, »du darfst den Schmerz fühlen, ihn aber nicht verurteilen.«
Ich hörte, wie ein Löffel gegen eine Tasse geschlagen wurde.
»Jonah? Meneer Landau möchte dir etwas übers Diamantenschleifen erzählen.«
»Ja.« Ich wandte mich unserem Besucher zu. »Gerne.«
Landau räusperte sich in seine zur Faust geballten Hand. »Weißt du, warum es so schön ist, Diamanten zu bearbeiten?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Weil Gott die Welt absichtlich unvollendet erschaffen hat und die Menschen dazu auffordert, sie zu vollenden. Wächst denn das Brot an den Bäumen, Jonah? Nein, aber Gott hat
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