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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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recht.«
    »Bekannte Gesichter? Wir haben den Kerl doch noch nie gesehen!«
    »Ich möchte ihn nicht einfach allein lassen.«
    Das ist wohl doch kein Ingwer. Dafür ist es viel zu zäh, zu hart.
    »Ach Mensch, schau ihn dir doch mal an …«
    »Ich verstehe nicht, warum dich das so berührt, du kennst ihn doch gar nicht.«
    »Leise, Walter, er kann uns hören.«
    »Hör doch mal, wie er schmatzt.«
    »Sei still.«
    »Warum musste diese Schnepfe vom Hotel … Wie heißt sie noch gleich?«
    »Nicolette. Sei nicht so unfreundlich.«
    »Warum musste sie dich unbedingt anrufen?«
    »Weil sie weiß, wie nahe ich Oma Kat stehe. Und überhaupt, was ist denn so schlimm daran?«
    »Gott sei Dank hat der gebrechliche alte Knacker sich nicht bei uns einquartiert. Ich habe echt kein Geld für diesen Blödsinn. Ob er wohl überhaupt eine Versicherung hat?«
    »Jetzt hör schon auf, Walter. Er ist sowieso ganz unruhig, sieh nur …«
    »Kleiner Mann.« Ich höre meine Mutter diese Worte sagen.
    Was sah sie vor sich, wenn sie mich so nannte? Eine kindliche Ausgabe ihres Mannes? Ein liebes Kerlchen, wenn ich mir das richtig gemerkt habe. Ich glaube, ich galt als liebes Kind. Ich kann niemanden mehr fragen, ob das wirklich so war.
    Eines weiß ich noch: Ich wachte auf und sah sie. Sie hob mich hoch und nahm mich mit. An einen warmen Ort. Ja, vom Warmen ins Kalte und wieder ins Warme, so war das. Sie trug einen roten Morgenmantel mit goldener Stickerei. Später sollte ich ihr sagen, dass sie darin aussah wie die Königin. Sie schlug den Morgenmantel auf. Eine süßliche Duftwolke kam mir entgegen. Ich sah einen Hügel und spürte, wie die Spitze gegen meine Lippen gedrückt wurde. Ich schnappte danach, nuckelte, schmeckte.
    Lange Wimpern flatterten über ihren dunklen Augen. Ihr Haar war zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden, eine Strähne fiel ihr auf die Wange. Sie schob die Unterlippeschräg vor und pustete sie aus dem Gesicht. Ich trank, roch, füllte mich mit ihr. Sie war ein einziges Strahlen.
    »Hallo? Hallo? Können Sie mal kurz kommen? Ich finde, dass er so merkwürdig guckt. Und er strampelt die Laken immer wieder weg …«
    »Schau mal, Sonja, er trägt sogar eine Windel!«
    »Dann geben wir ihm eben Lorazepam. Er ist einfach nur ein bisschen verwirrt. Das wird schon. Ganz ruhig bleiben, Meneer Jacobson. Hier, nur zu, einfach runterschlucken.«
    »Nur zu, kleiner Mann«, sagte sie, »nur zu.«
    So war das, »kleiner Mann, schau mal, kleiner Mann«, bis es plötzlich aufhörte. Vielleicht war ich eingeschlafen. Oder sie musste gehen.

22
    Sie lächelt mir zu. Gott sei Dank ist sie wieder da.
    Tanzt du, Mama?
    Natürlich hört sie mich nicht.
    Sie hat immer gern getanzt. Vor allem zu den Liedern von Eddie Lang und Carl Kress. Später wurde der Gitarrist Django Reinhardt ihr Favorit. Wenn er am Ende eines Liedes »O yeah« rief, klatschte sie begeistert in die Hände.
    Es überraschte mich immer wieder, welche Dinge sie glücklich machten.
    Eines Tages hielt sie ein Foto von mir in den Händen. Sie sagte, ich würde Django täuschend ähnlich sehen. »Er könnte dein Vater sein!« Als ihr aufging, dass sie dann ja seine Frau sein müsste, wurde sie feuerrot. Ich antwortete, sie habe früher einmal behauptet, ich ähnele Tarzan.
    »Stimmt«, erwiderte sie, »eigentlich bist du eine Mischung aus Django und Tarzan.«
    Das war der letzte Film, den wir uns zusammen ansahen: Tarzan, der Affenmensch . Freigegeben erst ab vierzehn Jahren, doch ich wirkte älter und durfte rein. Es war an einem warmen Sommerabend im Jahr 1933, ein halbes Jahr nach dem Tod meines Vaters. Für meine Mutter war es ein besonderer Abend. Sie war aufgeregt, nervös. Als das Licht im Saal erlosch, flüsterte sie: »Ich stelle dir bald jemanden vor. Einen Mann. Nicht so einen wiedeinen Vater, aber, na ja, einen Mann eben. Die Frau des Rabbis hat mich mit ihm bekannt gemacht.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Auf der Leinwand erinnerte sich die bildschöne Jane Parker, überlebensgroß, an Dinge, die ihr Vater ihr einmal erzählt hatte. Zum Beispiel, dass ein Elefant weiß, wenn er sterben muss. Wenn der Tod ihn ruft, trottet er von selbst an einen geheimen Ort, wo seine Knochen bald neben denen seiner Urahnen ruhen werden. Der Elefantenfriedhof jenseits des Mutier-Steilhangs.
    »Allein ist man einsam. Das verstehst du doch, oder?«
    »Zieht er zu uns?«
    »Vielleicht, irgendwann später. Er wohnt ganz in der Nähe, in der Pieter

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