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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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Verhörmethoden sind so lächerlich durchsichtig. Außerdem hört er sich gern reden, also brauche ich nichts weiter zu tun, als ab und zu ein bisschen mit dem Kopf zu wackeln.

27
    »Guten Tag, Meneer Jacobson, ich bin Suze. Sind Sie endlich einmal ein bisschen wach? Wissen Sie, welcher Tag heute ist?«
    Ich habe keine Ahnung. Warum fragen die mich das ständig? Außerdem kann es ihnen doch egal sein, ob ich schlafe oder mich nur schlafend stelle.
    Sie streicht über mein Bettzeug. Als sie sich wieder aufrichtet, ordnet sie ihre blonden Locken und lächelt mir zu. Sie hat Grübchen in den Wangen. Ich habe Lust, den Finger hineinzubohren.
    »Und?«
    »Guten Tag, junge Frau.«
    »Ja, guten Tag! Das Datum, wissen Sie, welcher Tag heute ist?« Sie zeigt auf einen gelben Kalender an der Wand gegenüber und sagt: »Sehen Sie, heute ist Dienstag, der 15. März.«
    Mir fällt etwas ein. »Geburtstag!«, sage ich. Mensch, bekomme ich wirklich nur dieses eine Wort heraus?
    Suze sieht in einem Ringordner nach. »Fast richtig, Sie sind am 26. April geboren und werden dann, ähm … Mal nachrechnen … Dann werden Sie neunzig Jahre alt! Ein stattliches Alter, Meneer Jacobson.«
    »Nein, ich …«
    »Doch. Oder?«
    Nein, das meinte ich nicht. Ich dachte an den Geburtstag von jemand anderem. Aber von wem? Und was macht das schonaus? Ach, all die Gedanken, all die Worte … Wie Mäuse rennen sie durchs Zimmer.
    »Und alle zusammen werden wir Sie wieder auf Vordermann bringen. Ihre Enkelin kommt jeden Tag und …«
    Meine Enkelin? Aber ich habe doch gar keine.
    »… ich habe auch gesehen, dass Sie sich gestern mit dem Mann einer Ihrer Zimmernachbarinnen unterhalten haben. Sehr gut.«
    Zimmernachbarn? Daher also das Gejammer die ganze Nacht! Und warum piepst es hier so? Schwester. Verflucht! Können Sie das Bett ausschalten? Dieses Schaukeln treibt mich noch in den Wahnsinn. Ein schaukelndes Bett, wer kommt denn auf so eine Idee? Ich will dieses Lockenmädchen darum bitten, doch es ist bereits verschwunden. Als ich gerade die Augen schließen möchte, steht urplötzlich ein Mann am Fußende des Bettes.
    Noch nie habe ich einen solchen Schreck bekommen.
    »Papa«, flüstere ich, »bist du das?«
    Du kommst aus einem anderen Jahrhundert, aber trotzdem bist du hier nicht fehl am Platz, mit deinem Tweedanzug und dem glatt zurückgekämmten Haar. Warum sprichst du so langsam und überdeutlich? Glaubst du, ich könnte dir sonst nicht folgen? Ich verstehe wirklich alles. Du willst wissen, ob ich etwa glaubte, nur Mama hätte mich geliebt. Ich möchte dich unterbrechen, aber du bist anscheinend entschlossen, deine Sicht der Dinge darzulegen. Das habe dir seit deinem Tod keine Ruhe mehr gelassen, sagst du. Ob ich denn nicht mehr wisse, dass du mich überallhin mitgenommen hättest? Die Kalverstraat, der Leidseplein, Artis – einmal sogar nach Zandvoort, nicht wahr? – und ob ich mich noch an den Abend in der Wagenstraat erinnere?
    »Die Wagenstraat«, wiederhole ich leise.
    Und alles kommt zurück.
    Ein geheimer Treffpunkt, das war es doch, Papa, oder? Eine Art Clubhaus, ganz versteckt, und ich durfte niemandem davon erzählen. »Was da passiert«, hattest du gesagt, »findet unser Bürgermeister nicht gut. Deshalb muss es ein Geheimnis bleiben.«
    Ich musste rennen, um mit dir Schritt zu halten. Wir kamen an einem Standbild vorbei. »Der große Herr da, das ist Rembrandt«, sagtest du. Du legtest mir eine Hand auf die Schulter. »Schau, ein Stück weiter in diese Richtung liegt die Wagenstraat. Da müssen wir hin.« Ich sah, dass der Finger, mit dem du dorthin zeigtest, zitterte.
    Männer schoben sich durch die enge Gasse. Sie sahen sich laufend um. Jemand erkannte dich, sie wichen zur Seite und ließen uns sofort durch. Einem Kerl, der noch größer war als du, gabst du Geld. Du versichertest mir, dass ich keine Angst zu haben bräuchte, dabei hatte ich gar keine. Wirklich nicht.
    In dem Haus führte eine hohe Leiter zum Dachboden. Die mussten wir hinauf. Ich sah deine großen, glänzenden Schuhe, bonk, bonk, bonk, endlos lange, immer höher hinaufgehen. Deine Schultern waren breiter als die Sprossen. Jedes Mal, wenn du den Fuß hobst, blitzte ein Stück deiner dicken Wade auf, weiß mit roten Pickelchen. Wir drangen in eine Wolke aus Schweiß und Zigarrenrauch ein. Ich hörte Männer lärmen und mit den Füßen stampfen. Dein Kopf war schon auf dem Dachboden. Ich sah, wie der Rest deines Körpers eine Vierteldrehung machte.
    »Meijer,

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