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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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zusammen mit mir ins Ausland abzusetzen.
    Kurz bevor ich die Tür zuzog, sah ich an Delmontes Gesichtsausdruck, dass ich ihm ordentlich eins ausgewischt hatte.

43
    Um halb sechs hielt es mich nicht länger im Bett. Ich putzte mir zweimal die Zähne, trödelte vor dem Kleiderschrank herum – sogar bei der Sockenschublade –, trotzdem war erst eine Viertelstunde vergangen, als ich mich an meinen Platz am Küchentisch setzte.
    Ich schmierte mir zwei Butterbrote mit Apfelsirup, viertelte sie und schnitt sie dann in sechzehn kleine Stücke. Danach schabte ich den letzten Rest Zucker aus der Dose und tauchte den verklebten Löffel in den heißen Tee. In der Tasse rührend schlug ich noch ein paar Minuten tot.
    Ein Häppchen, noch ein Häppchen und ein letztes. Siehst du schon die Blumen auf deinem Teller?
    »Hannahs Steingutgeschirr!«
    Mein Vater in der Küche. Meine Mutter an der Spüle. Er schmiegt sich an sie, greift nach ihren Armen, lässt die Bürste in einer Schüssel kreisen. »Meijer!« Ihre Stimme ist sanft. Meine Mutter lacht verlegen.
    Wo sollte ich das ganze Zeug lassen? Das Geschirr, die Töpfe, das Besteck? Landaus Werkzeug? Die Anzüge meines Vaters, drei Gespenster im Kleiderschrank?
    Wie lange würde die Uhr im Wohnzimmer weiterticken? Wie viele Stunden würde sie schlagen, ohne dass jemand sie hörte? Oder doch, vielleicht Mevrouw Van Groen. Über uns wohnteniemand mehr. Die Nachbarn zur Rechten und zur Linken hatte ich seit Wochen nicht mehr gesehen.
    Ich hatte Asscher fragen wollen, ob ich unsere Sachen irgendwo in der Schleiferei lagern könne, doch es hatte sich keine Gelegenheit ergeben. Der Chef war großzügig, aber nur, wenn es ihm in den Kram passte. Er hatte mir oft genug zu meiner Überraschung ein paar Gulden extra zugesteckt oder etwas anderes, was er im Überfluss hatte, doch wenn man ihn um einen Gefallen bat, ließ er lieber ein bisschen Zeit verstreichen, bevor er einwilligte und dabei den Eindruck vermittelte, er wäre selbst auf die Idee gekommen.
    Nachdem ich eine Runde durch die Zimmer gedreht hatte, kam ich zu dem Schluss, dass es sich nur bei wenigen Dingen lohnen würde, sie einzulagern. Ein kleiner Stuhl, der Milchtopf, Drosts Gemälde. Nicht, dass ich diese läppischen Dinge bräuchte, doch ich würde sie für immer in Erinnerung behalten, bis ich eines Tages vergessen hätte, wann ich sie zuletzt in Wirklichkeit gesehen hatte. Ich würde hinter mir zuschließen und den Schlüssel hinunterbringen. Einen Zettel dazulegen: »Wir kommen wieder.« Im Namen meiner Mutter. Und in Landaus. Ich würde für immer wegbleiben, doch bei ihnen dauerte es möglicherweise nicht mehr sehr lange, bis sie zurückkämen.
    Linda hatte behauptet, die Amerikaner würden eine Invasion planen. Sie musste es wissen. Jedenfalls eher als Bobby Delmonte. Dreihundert Gulden für ein Stück Papier. So ein Schweinehund.
    Ich füllte meinen Rucksack mit Kleidern, Waschzeug und einem Paar in altes Zeitungspapier eingewickelte Schuhe. Ich öffnete die Zigarrenschachtel, zählte das Geld und inspizierte meinen Personalausweis.
    Ich bin Arie Voogt, geboren am 23. Juni 1919 in Wateringen.Ich wohne in der Druivenstraat 110 in Naaldwijk. Ich bin von Beruf Gärtner. Arie Voogt, Wateringen, 23. Juni 1919. Druivenstraat 110, Naaldwijk. Von Beruf Gärtner.
    Ich trat vor den Spiegel im Flur, um meinen Blick zu sehen, wenn ich log.
    »Mein Name ist Arie Voogt«, sagte ich, »ich arbeite in den Gewächshäusern im Westland.«
    Sind Gärtner kräftig gebaut? Wie groß sind ihre Hände? Ich betrachtete meine. Rau. Die Finger: dick. Trauerränder unter den Nägeln. Das schmierige schwarze Bort konnte gut und gerne als Erde durchgehen. Und dann die Augen, waren das die Augen von jemandem, der erkannte, wann Tomaten reif für die Ernte waren? Würde ich diesem Arie Voogt glauben, wenn ich ihn im Zug kontrollieren müsste?
    Ich hatte mich auf diesen Tag vorbereiten wollen wie in der letzten Stunde vor einem Kampf, doch anstatt Leere und Ruhe zu suchen, stellte ich mir eine Frage nach der anderen und spürte, wie sich eine unangenehme Spannung in meinem Kopf aufbaute, weil mir keine einzige befriedigende Antwort einfiel.
    Um Viertel vor neun musste ich am Centraal Station sein. Noch zwei Stunden.
    Ich nahm die lange Trainingshose aus dem Rucksack, schlüpfte in meine Sportschuhe und legte mir den Schlüssel an einer Kordel um den Hals. Nachdem ich die Tür leise hinter mir zugezogen hatte, ging ich gemächlich durch die

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