Der blaue Vogel kehrt zurück
Montagnachmittag vorbeikäme, wären sie nicht zu Hause, sagte er. Wir verabredeten uns für drei Uhr.
Die Tür der Hausnummer 82 sprang auf, bevor mein Finger den Klingelknopf überhaupt berührt hatte.
»Erster Stock!«
Ich ging hinauf. Seine Gestalt ließ alles klein erscheinen – den Esstisch, die drei Stühle, das Sofa und den einzigen Sessel. Hinter einer dünnen Wand lagen vermutlich zwei Schlafzimmer.
Delmonte machte den Eindruck, als wäre er hier selbst ein Gast. Sein Anzug war zu gepflegt für die schäbige Einrichtung und seine Bewegungen waren so unsicher, dass ich das Gefühl hatte, er habe Angst, etwas umzustoßen. Ich suchte nach Beweisen für meine Annahme – ein Foto von anderen Menschen, die ihm nicht ähnlich sahen, Bücher, die er niemals lesen würde, irgendetwas –, doch was wusste ich schon über ihn, außer dass er in meinem Boxclub gewesen war und stolz darauf, die besten Fälschungen von Amsterdam beschaffen zu können?
»Kaffee? Keine Eicheln, sondern richtige Bohnen.«
Er verschwand in einem Flur, der wahrscheinlich zur Küche führte. Ich trat ans Fenster. Außen war ein Spiegel befestigt. Gerade fuhr ein DKW vorbei. In Richtung Norden. Ich stellte mirvor, selbst am Steuer zu sitzen. Auf eigene Faust, ohne Hilfe, raus aus der Stadt.
Delmonte kam mit einem einzigen Becher und einem Kassenbuch in der Hand zurück.
»Du bist Arie Voogt, geboren am 23. Juni 1919, in Wateringen. Gärtner. Da.«
Er warf den Personalausweis, kleiner als meine Hand, auf den Tisch. N 1 No 010421. In dem Büchlein steckte mein Foto hinter einem achteckigen Sichtfenster. Der Stempel der Gemeinde Naaldwijk war teilweise auf meiner Stirn gelandet.
Delmonte hielt die Hand auf. Ich zog langsam mein Portmonee aus der Tasche. Verzögerung war meine einzige Waffe.
»Da helfe ich dir doch ganz schön aus der Patsche, was, Jacobson?«
»Im Tausch gegen dreihundert Gulden, nicht zu vergessen.«
Er zuckte die Achseln. Es wäre mir lieber gewesen, die Sache glatt über die Bühne zu bringen, doch ich konnte es nicht lassen. Ich hasste diesen Knaben; kein Millimeter, kein Molekül von Bobby Delmonte blieb von meinem Abscheu verschont. Ich ekelte mich vor seiner Stimme, seiner Haut, dem Geruch, den er absonderte, seiner Art, sich zu bewegen, seiner Arroganz, der Macht, die er über mich hatte.
»Das ist nicht viel Geld für so viel Freiheit.«
»Ganz wie du meinst.«
»Wenn du noch ein bisschen was drauflegst, kann ich dir auch einen sicheren Unterschlupf beschaffen.«
»Nicht nötig«, antwortete ich, »das habe ich selbst in die Hand genommen, und dabei hilft mir jemand, der erheblich besser aussieht als du.«
»Linda?«
»Kennst du sie?«
»Ein bisschen. Sie gehört zur Gruppe.«
»Ein süßes Mädchen.«
Delmonte schlug das Kassenbuch mit einem Knall zu. Er fuhr sich mit den Fingern durchs eingeölte Haar. Ich sah, wie sich rote Flecken vom Hals zu seinen Wangen ausbreiteten.
»Und was tut sie für dich?«
Sein Blick war nicht mehr ganz so triumphierend.
»Nächsten Montag begleitet sie mich nach Den Bosch. Dort hilft mir dann jemand anders weiter. Wieso?«
»Her mit dem Zaster.«
Ich stand auf. Genau wie Kosmann es mir mal beigebracht hatte, verringerte ich den Abstand zwischen uns. Mit den Scheinen in der Faust führte ich den Arm nach hinten, als würde ich zum Schlag ausholen. Mein Hieb stoppte einen Zentimeter vor Delmontes erschrecktem Gesicht. Ich ließ die Hand sinken und steckte die drei grauen Scheine in die Brusttasche seines Sakkos.
»Und sie küsst ganz wunderbar«, sagte ich.
»Meine Eltern können jeden Moment zurückkommen. Du musst jetzt gehen.«
»Ist irgendwas?«
»Wieso?«
»Geht es hier gerade um Linda?«
»Wovon sprichst du, Jacobson?«
»Du bist auf einmal so nervös.«
»Das habe ich dir doch gesagt. Meine Eltern kommen gleich zurück. Sie haben Angst, dass ich mich mit meiner Arbeit im Widerstand in Schwierigkeiten bringe.«
Ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
»Und was dieses Flittchen treibt, muss sie selber wissen.«
»Klar. Dann mache ich mich jetzt mal auf den Weg.«
Ich dankte ihm für den Kaffee, den ich nicht angerührt hatte. »Wünschst du mir denn keine gute Reise?«
»Ich hoffe, dass du deinen Zielort erreichst, Jacobson. Reicht dir das?«
Das war genug, ich würde Bobby Delmonte nie mehr sehen, doch ich konnte es nicht lassen, ihn noch ein letztes Mal zu triezen, deswegen ließ ich ihn in dem Glauben, dass Linda überlegte, sich
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