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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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in unserer schönen Stadt einfach so an einem beliebigen Wochentag passieren konnte, stieß ich Luft zwischen den Zähnen hervor.
    »Feiglinge!«, schimpfte der junge Mann. Seine Wangen waren bereits weniger gerötet. Ich wusste nicht, wen er damit meinte, fragte aber auch nicht nach. Stattdessen wich ich seinem Blick aus und folgte meiner Nachbarin ins Dunkle.
    Hinter meinen geschlossenen Lidern sah ich, wie Catharina hochgehoben und auf eine Trage gelegt wurde. Ob sie wohl an mich dachte? Ob sie sich Sorgen machte? Ich wusste, was ich zu tun hatte. Vor dem Bahnhof in Den Bosch würde ein weinroter Vauxhall Light Six mit laufendem Motor auf mich warten. Falls der Fahrer auf meine Frage, ob er mich nach Breda bringen könne, antwortete, das sei überhaupt kein Problem für ihn, wäre alles in Ordnung. Ich sollte ihm weiter keine Fragen stellen, es war besser, so wenig wie möglich voneinander zu wissen.
    Delmonte. Er musste erfahren haben, dass Linda und ich um neun Uhr aufbrechen wollten. Hatte ich ihn, hingerissen von meinen kindischen Gefühlswallungen, eifersüchtig gemachtund … Meiner Meinung nach war er zu allem fähig. Dieser Anzug, die Gestalt – das war er doch gewesen?
    Ich öffnete die Augen. Mir gegenüber saß niemand mehr. Die alte Dame schnarchte leise.
    Hinter ihr erblickte ich ein grünes Meer aus Wiesen, die Bauernhöfe wie kleine Schiffe darin verstreut.
    Nicht an Catharina denken. Catharina war Linda ohne Mantel und den ulkigen Hut. Sie hatte mich in ihre Wohnung eingeladen, weil wir in diesem Theaterstück der Illegalität nun mal die Rolle eines Liebespaares spielten. Sie hatte sich vorgebeugt, um mir Tee einzuschenken, mich dabei auf die Stirn geküsst und gesagt, ich dürfe sie Kat nennen. Doch an Kat durfte ich nicht denken, auf keinen Fall. Die kleine Kat war das Mädchen unter dem Kleid. Die kleine Kat lag zufrieden in ihrem warmen Bett, nicht verwundet draußen auf der Straße.
    Auf dem Bahnhofsvorplatz von Den Bosch stand, wie Linda gesagt hatte, das rote Auto. Das Fenster auf der Fahrerseite war offen. Ich fragte den Fahrer, ob er mich nach Breda bringen könne. Er antwortete, das sei überhaupt kein Problem für ihn. Wir fuhren schweigend zum Krankenhaus Sint Laurents in Ginneken. Dort sollte ich mich nach Bruder Koos erkundigen. Der würde mich über die Grenze nach Belgien bringen. Vielleicht konnte er ja noch Kontakt zu der Gruppe in Amsterdam aufnehmen. Sie mussten erfahren, dass Linda niedergeschossen worden war. Und Delmonte ein Verräter.
    Koos war ein junger Mann, so alt wie ich oder vielleicht ein Jahr älter, guter Dinge und aufgeweckt. Er meldete sich beim Portier des Krankenhauses ab, brachte mich zu sich nach Hause, ein paar hundert Meter vom Hauptgebäude entfernt, schenkte mir ein Glas Limonade ein und zog wieder los, um »ein paar Sachenzu regeln«. Als er zurückkam, erzählte er mir, Linda sei ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es sehe so aus, als müsse ein Teil ihres Beins amputiert werden. Anscheinend war sie nicht verhaftet worden; man hatte angenommen, dass sie zufällig von der Kugel getroffen worden war.
    Über Delmonte sagte er nichts.
    Wir aßen Endivieneintopf und legten uns früh schlafen.
    Ich träumte von Catharina, ihr Körper war unversehrt.
    Gegen vier Uhr morgens weckte Koos mich. Jemand hatte für Kaffee und Butterbrote gesorgt. Ich wachte zum ersten Mal seit Jahren in einer fremden Wohnung auf, und das Bett war weicher als zu Hause, das Wasser, das aus dem Hahn kam, kälter, doch am Zusammensein mit Koos war nichts seltsam; wir frühstückten gemeinsam, als hätten wir das schon unsere ganze Jugend getan.
    Koos hatte seinen Becher als Erster ausgetrunken. »Bist du so weit?«
    Wir traten vor die Tür. Zwei Fahrräder lehnten an der Hauswand. Ich schulterte den Rucksack und stieg auf. Das erste Stück fuhren wir im Schritttempo an der Kapelle des Krankenhauses vorbei, der Kies knirschte unter unseren Reifen. Ich stellte mir vor, dass die Lichter, die ich dort sah, diese Flammen kleiner Kerzen, angezündet worden wären von Menschen, die es gut mit uns meinten.
    Sobald wir die Straße erreicht hatten, stellte Koos sich auf die Pedale und machte Tempo. Ich tat es ihm nach. Die ersten Kilometer fuhren wir über Kopfsteinpflaster, danach bogen wir in einen Waldweg ein. Koos radelte schnell vor mir her. Keine Ahnung, welche Ausrede er sich einfallen ließe, wenn wir an diesem Ort, zu dieser Stunde angehalten würden. Selbst wenn er einen Beweis dafür

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