Der Blaumilchkanal
schob. Dulnikker ging daran, das Tortenkunstwerk mit Riesenbissen zu demolieren, während der entsetzte Barbier ihm erzählte, was durchgesickert war.
»Jetzt, vor den Wahlen, exkommuniziert zu werden!« jammerte das Opfer der Schikane. »Das ist wirklich eine Katastrophe! Was können wir dagegen tun, lieber Ingenieur?«
»Aber das ist doch einfach«, versicherte Dulnikker. »Ihr werdet den Schächter eurerseits exkommunizieren, Genossen!«
So geschah es, daß über dem Spiegel bald eine Aufschrift hing, die lautete:
»Ich, Salman Hassidoff, exkommuniziere hiermit den Schächter, kraft des Barbierdiploms, das mir vom Prüfungsausschuß verliehen wurde. Er verliert somit sein Recht, sich der Vorteile meines Barbierens zu erfreuen, und ich hebe auch sein Recht auf, mit einem Quorum in meinem Geschäft zu beten, als Strafe. Jeder Bürger, der es wagt, sich mit ihm zu befreunden, wird von mir nicht mehr rasiert. Das schließt auch Haarschneiden ein. Und als Bürgermeister werde ich ein Auge auf ihn haben. Der Barbier hat gesprochen.«
Natürlich nützte dieser interne Streit niemanden außer Gurewitsch. Der Schuhflicker wurde von Tag zu Tag aktiver, und seine Projekte zeugten von einem erschreckenden ideologischen Fortschritt.
»Herr Ingenieur, jetzt haben sie uns in der Klemme«, beklagte sich der Barbier, als er den Staatsmann in seiner Zelle rasierte. »Letzte Nacht pfuschte der hinkende Schuhflicker an der Schlagzeile herum: D er S chuster liebt das D orf - D as DORF LIEBT DEN BARBIER. Er änderte nur vier Buchstaben, und jetzt lautet die Aufschrift: D er S chuster liebt das D orf -DAS DORF HASST DEN BARBIER! Jetzt werde ich den Barbier zum Schuster zurückmalen müssen, obwohl ich mich kaum mehr auf den Beinen halten kann, und mein Magen ist nicht in Ordnung. Eine entsetzliche Situation ...«
>Gott sei Dank, Zev lebt.< Dulnikker empfand eine ungeheure Erleichterung und dachte heiter, >und außerdem ist er im Schoß seiner Familie.<
Die Mitglieder des Provisorischen Dorfrats waren gezwungen, wieder zu einer formellen Sitzung zusammenzutreten. Ofer Kisch hatte dabei eine Hand im Spiel, denn er leistete den wahrhaft bemerkenswerten Beitrag, daß er die vier Großen dazu überredete, ihre Unstimmigkeit beiseite zu schieben und sich an einen Tisch zu setzen. Der Abgrund zwischen den Dorfhäuptlingen war jedoch unüberbrückbar, und sie setzten sich mit bösen Gesichtern so weit wie möglich voneinander entfernt nieder. Malka hatte in dem Versuch, die Atmosphäre aufzutauen, Tee und Kekse vorbereitet. Der unermüdliche Schneider half ihr den Imbiß servieren, aber es gelang ihnen nicht, das Eis des Hasses zu brechen, das in der Ratskammer immer dicker wurde.
»Also kommen Sie zur Sache, meine Herren«, sagte der Schuhflicker schließlich. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Was gibt’s?«
»Wir müssen entscheiden, wie die Wahl abgehalten werden soll«, erwiderte der Wirt unter ungeheuerlichem Blinzeln, und alle verfielen in verwirrtes Schweigen, weil gerade dieser Punkt den Verstand der Abgeordneten überstieg. Sie begannen alle darüber zu brüten. Dem Barbier tat es allmählich sehr leid, daß er den Ingenieur nicht in seiner Hosentasche hatte mitnehmen können.
»Ja«, erwiderte der Schuhflicker, »das ist eine Grundsatzfrage. Jedenfalls müssen wir eine geheime Wahl abhalten.«
»Gut«, bemerkte Elifas. »Aber wie, um Himmels willen?«
»Sehr einfach«, erklärte der Schuhflicker. »Ich werde dort zwischen den vier armseligen Säulen Hassidoffs am Tisch sitzen, und die Leute werden neben mich treten und mir - ganz geheim - ins Ohr flüstern, für wen sie stimmen. Ich werde in einem Notizbuch eine Aufstellung machen, und am Ende addieren wir die Spalten.«
»Einfach wunderbar«, donnerte der Schächter, »und warum sollen ausgerechnet Sie, Gurewitsch, derjenige sein, der die Liste führt, wenn ich fragen darf?«
»Das gehört zu der Geheimhaltung«, murmelte der Schuhflicker. Der Barbier schaltete sich mit der Meinung ein, daß diese Regelung Mißverständnisse zulassen könnte.
»Ich habe einen viel demokratischeren Vorschlag, Genossen«, kündigte Hassidoff an. »Wir leihen uns eine Sammelbüchse von Majdud und Hajdud und stellen sie zwischen die Säulen. Jeder Stimmberechtigte, der nicht will, daß ich Bürgermeister bleibe, wird eine Halbpfundmünze in die Büchse werfen.«
»Das ist kindisch«, meinte der Schächter. »Vor allem muß man herausfinden, ob jeder Stimmberechtigte fromm ist oder
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