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Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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Dwora?«
    »Natürlich sehe ich sie.« Das Mädchen brach in Tränen aus. »Das ganze Haus wimmelt von ihnen. Wie kann man sie nur loswerden?«
    »Nun, mein Mädchen, hoffen wir, daß dich die Vorsehung mit einem gesunden kleinen Jungen segnet. Übrigens, wie beabsichtigen Sie Ihren Sohn zu nennen, Madame?«
    »Zev.«
    »Es ist egal, wie Sie ihn nennen. Wichtig ist allein, daß Sie dem Kind eine moderne Erziehung geben, verbunden mit zionistischen Idealen. Ja, Fräulein Dwora, ich bin noch immer dem Schlagwort treu, über das sich gewisse, nach dem Westen schielende Kreise lustig machen: Pioniertum! Wer ein Kaufmann, ein Beamter, ein Literat werden möchte - viel Glück für ihn, aber sie werden diese Einöde nicht zum Blühen bringen, meine Damen. Das wird die von gewerkschaftlichen Überlieferungen so sehr erfüllte Jugend sein! Wie viele Jahre werden wir noch amerikanische Hilfe erhalten? Zwei? Fünf? Zehn? Und was dann? Nein, meine Herren, größer als das Bedürfnis der nationalen Sicherheit nach schwerer Artillerie ist das Bedürfnis nach Grenzsiedlungen!«
    Dwora hatte schon lange zu wimmern aufgehört. Ein leichtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, und ihr Daumen ruhte in ihrem Mund.
    »Sie schläft ruhig wie ein kleines Kind«, murmelte Dulnikker etwas bewegt. »Wie müde das arme Mädchen war!«
    Der Staatsmann zog Dwora die Decke bis zum Kinn, richtete mit väterlicher Sorgfalt die Kissen unter ihrem Kopf und sprach mit gesenkter Stimme weiter, um sie nicht zu wecken. Nach langer Zeit stand Dulnikker auf, drückte Dwora einen Kuß auf die Stirn, schneuzte sich gerührt und ging auf Fußspitzen aus dem Zimmer.
    Am nächsten Morgen stand das Dorf kopf.
    Die Bewohner liefen verwirrt herum und murmelten mit blutleeren Lippen lang vergessene Gebete. Die furchtbare Prophezeiung des Schächters hatte sich erfüllt. Früh am Morgen, als der Zeiger der Sonnenuhr sechs anzeigte, versiegten alle Wasserhähne in Kimmelquell und weigerten sich, weiterhin auch nur einen Tropfen Wasser zu spenden.
    Wie zu erraten, hatte sich außer dem Schächter niemand die Mühe gemacht, einen Wasservorrat anzulegen. Dennoch war ihr körperliches Leiden nichts, verglichen mit der Last des alptraumhaften Gedankens, daß der Weltenschöpfer auf das Dorf wegen seiner vielen Sünden böse geworden war. Es gab viele, die es für ungerecht hielten, ein ganzes Dorf für eine ziemlich gewöhnliche Sünde zu strafen, die von einem ungestümen Jüngling begangen worden war, der noch nicht einmal ein echter Bürger des Dorfes, sondern nur ein Großstadtmensch auf Ferien war. Diese stummen Proteste hatten jedoch keinerlei Wirkung auf den grausamen Urteilsspruch: Das Wasser hatte zu fließen aufgehört.
    Die Bauern hatten somit keine andere Wahl, als ihr Vertrauen auf den Schächter-Propheten zu setzen, der, wie es schien, sowohl der einzige die Sünde fürchtende Mensch im Dorf als auch der Vertraute des Herrn der Erde war. Der dürre Ja’akov Sfaradi, der noch vor wenigen Stunden in aller Öffentlichkeit ausgelacht worden war, wurde nun als ein moralischer Leuchtturm oder sogar als ein neuer Moses angesehen, von so äußerster Reinheit, daß er das Wasser in den Felsen zurückzubefehlen vermochte. Die Menschen strömten zu dem kleinen, etwas von der Straße abseits liegenden Haus des Schächters. Alle trugen Käppchen oder sonst irgendeine Kopfbedeckung und hielten schändlich verstaubte Gebetbücher in der Hand. Auch entsetzte Kinder nahmen an der öffentlichen Versammlung der Eltern teil, weil der Schächter seine Schule an diesem Tag des Gerichts geschlossen und die Schüler heimgeschickt hatte. Ja’akov Sfaradi, in seinen Gebetsschal gehüllt, stand in einer dunklen Ecke seines verwahrlosten Zimmers und betete unermüdlich den ganzen Tag lang, ohne auch nur eine Brotkrume in den Mund zu stecken. Er war so sehr in seine Bitten an den Herrn der Welt vertieft, daß er die Menge nicht bemerkte, die sich auf seiner Türstufe drängte, obwohl er häufig aus dem Haus trat, siebenmal seinen Schofar blies und wortlos wieder zum Beten zurückkehrte.
    Bis Mittag hatte sich das ganze Dorf um die Höhle des geistlichen Hirten versammelt - mit Ausnahme des Schuhflickers und des Barbiers, deren Stolz es ihnen verbot zu kommen. Aber sie beteten daheim. Der einzige Sterbliche, der ruhig blieb und den das Wunder nicht kümmerte, war der Ingenieur, der zur gleichen Zeit ahnungslos in der Gesellschaft seiner geliebten Kühe in der angenehmen Herbstsonne lag.

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