Der Blaumilchkanal
da nicht?
Ja’akov Sfaradi ben Schlesinger hob in einem gräßlichen Verdacht langsam den Blick himmelwärts, aber sein nüchterner Verstand verwarf den Gedanken als unmöglich. Die Reparaturen dauerten bestimmt noch einen weiteren Tag; das war alles.
Als der Schächter heimkam, wurde er von einer verständlicherweise erbitterten Menge begrüßt, deren Mehrzahl in ihrem Protest davon absah, sich den Kopf zu bedecken.
»Was geht hier vor, Schächter?« beklagte sich der Mob. »Du hast gesagt, Gott habe zugestimmt. Wo also bleibt das Wasser?«
Ja’akov Sfaradi wurde wütend und trampelte die Kühnen augenblicklich nieder: »Fragt nicht mich nach Wasser, Sünder, fragt euch selbst!« schrie er sie an. »Der Allerheiligste kennt bestimmt die Gründe seiner Strafen. Er weiß sehr gut, daß ihr nur an der Oberfläche bereut habt, daß ihr euch gesagt habt, >das Wasser soll nur wieder aus dem Hahn fließen, und wir können den heuchlerischen Schächter vergessen und wieder zum Schweinefleisch zurückkehren<.«
»Ist schon gut«, beruhigten ihn die Leute. Sie waren sehr verdutzt, daß der Allerheiligste ihre Gedanken so gut kannte. »Was fangen wir jetzt an?«
Der Schächter erwog die Möglichkeiten, dann sagte er: »Also spricht Ja’akov Sfaradi ben Schlesinger: Bringt alle eure Kochgeräte aus euren Häusern herbei, um sie wie in den Tagen eurer gottesfürchtigen Väter - Gott hab sie selig - zu reinigen.
Wie geschrieben steht: Ihr sollt allen Sauerteig aus euren Häusern entfernen.«
Die Leute tauschten verwunderte Blicke untereinander.
»Meister«, erwiderten sie staunend, »aber wir haben doch jetzt nicht Passover?«
»Ich weiß. Aber >Lebensgefahr zieht heilige Zeit herbei<. Gehet hin, Sünder, und bringt eure besudelten Töpfe her. Der Schächter hat gesprochen.«
Nolens volens kehrten sie heim, während Ja’akov Sfaradi unverzüglich einen Kessel voll Wasser(!) aus seinem Haus schleppte, unter ihm eine Handvoll Reisig ausbreitete, es mit Kerosin besprengte und ein großes Feuer anfachte.
Nach einer Weile schlängelte sich eine lange Reihe von Hausfrauen mit ihren beladenen Männern auf den Kessel zu, und Ja’akov Sfaradi reinigte ihre Geräte in dem brühheißen Kessel gegen einen bescheidenen, einmaligen Beitrag für den >Fonds zur baldigsten Erbauung einer Synagoge<. Der Schächter unterbrach seine Aufgabe nicht vor Sternenaufgang, außer um etwas Wasser zum Kochen zuzugießen oder gelegentlich seinen Schofar zu blasen. Natürlich gab es einige Murrende in der Menge, die meinten, daß das Wasser, das auf das Koschermachen verschwendet wurde, genügt hätte, den Durst des Dorfes erheblich zu verringern. Aber selbst sie wagten ihre Meinung nicht laut werden zu lassen, und sie redeten auch lieber nicht zuviel wegen der geschwollenen Zunge, die ihnen am ausgetrockneten Gaumen klebte. In der Reinigungsreihe vertrat Elifas Hermanowitsch die Hauptdorfräte mit gesenkten Augen. Der Schuster sandte seine schwangere Tochter zu der Bußversammlung, und der Barbier entsandte seine Frau in Begleitung ihres Sohnes. Denn sowohl Hassidoff wie Gurewitsch fürchteten die Ergebnisse einer Unterwerfung in der Öffentlichkeit. Ofer Kisch hatte keine Töpfe im Haus, weil er kein Haus hatte, schloß sich jedoch als
Zeichen des guten Willens der gewundenen Reihe an und schlängelte sich mit ihr langsam und geduldig zum Kessel.
Nachdem der Schächter spät nachts den letzten Topf gereinigt hatte, brach er vor Müdigkeit fast zusammen. Er sagte zu den Leuten:
»Morgen früh gibt es Wasser. Ihr sollt daheim beten und allen Sauerteig vernichten. Gehet dahin! Der Schächter hat gesprochen.«
Die Bauern verbrachten die Nacht an ihren Wasserhähnen, begleitet von dem heisernen Summen halbvergessener Psalmen, während sich ihre durstigen Frauen wachhielten und mit letzter Kraft allen Sauerteig aus ihren Heimen kehrten. Aber es war alles umsonst. Am Morgen erreichte der Schatten des Zeigers die Zahl 10, aber die Wasserhähne gaben nichts her. Der Grund dafür war wirklich nicht vorauszusehen gewesen. Erst nachdem man die große Pumpe auseinandergenommen hatte, wurde es den Leuten der Pumpstation klar, daß die Kolbenstange der Länge nach gesprungen war und zum Schweißen zu Grünwald & Sohn nach Haifa geschickt werden mußte.
Das verlängerte Wunder, das sich vor den Augen des Dorfes drei ganze Tage lang abspielte, rettete das Dorf vor einer äußerst ernsten inneren Krise. Die Sache hatte ungefähr eine Woche früher
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