Der Blaumilchkanal
Dulnikker und versuchte, den Raum unverzüglich zu verlassen. Aber nach einem kurzen Kampf zerrte ihn das kräftigere Paar zu seinem Bett zurück. Der Staatsmann hatte rasendes Kopfweh, und er errötete, als er entdeckte, daß er mit nichts als seiner Unterhose bekleidet war.
»Jetzt verstehe ich!« Dulnikker atmete schwer in zitternder Wut. »Ich bin euer Gefangener!«
»Sie brauchen das nicht gleich so aufzufassen, Ingenieur«, meinte der Barbier, der ebenfalls schwer atmete. »Sie sind nicht unser Gefangener, bloß unser Gast. Außer daß Sie diesen Raum nicht verlassen dürfen - um sicherzustellen, daß Sie niemand anderer mißbraucht.«
»Wirklich, es ist nur bis zu den Wahlen«, flehte die tapfere Frau. »Herr Dulnikker, ich koche Ihnen die besten Gerichte. Ich tue alles für Sie«, fügte sie hinzu und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, »ganz genau so, wie Malka es tat!«
»Sodom und Gomorrha!« stöhnte Dulnikker und begann plötzlich mit mächtiger Stimme zu kreischen: »Hilfe! Ich bin gefangen! Hilfe!«
Der Barbier und seine Frau schritten nicht ein. Sie traten zurück, als wollten sie, daß der teure Kranke nach seinem Unfall etwas Dampf abließe. Ja, Frau Hassidoff trat sogar neben das Bett und fächelte dem heulenden Dulnikker mit der Hand das Gesicht. »Es hat keinen Zweck zu schreien«, bemerkte der Barbier, nachdem der Staatsmann vollkommen heiser geworden und zusammengebrochen war. »Sie befinden sich gegenwärtig, mein Freund, im innersten Vorratsraum meines neuen Kuhstalls. Nur die Kühe können Sie hören.«
»Ich protestiere energisch«, flüsterte Dulnikker. »Sie begehen einen ernsten Bruch des internationalen Rechts. Ich verlange, daß Sie mir unverzüglich meinen Krankenwärter bringen!«
»Das ist unmöglich, Ingenieur«, antwortete Hassidoff, und sein Gesicht deutete aufkeimenden Zorn an. »Ihr Krankenwärter ist gestern nacht wieder verschwunden.«
»Gestern nacht?« Dulnikker war verdutzt. »Das bedeutet, daß ich schon seit fast 36 Stunden hier liege?«
»Stimmt!« kläffte der Barbier. »Die Wahlen sind schon beinahe da, und Sie, Ingenieur, liegen hier wie ein Tonklumpen! Jetzt müssen wir aber wirklich schnell arbeiten.«
»Ihr werdet aus mir keinen Deut - nicht einmal einen halben Deut herauskriegen, ihr Huligane!« versicherte der Staatsmann. Er drehte sich zur Wand und vergrub sich tief in die Decken. Hassidoff und seine Frau warteten noch eine Weile, traten unruhig von einem Fuß auf den anderen und verließen dann böse den Raum.
»Er benimmt sich überhaupt nicht nett«, erklärte Frau Hassidoff, als sie sorgfältig die Eisentür zusperrte. »Wenn die Sache so liegt, hat es sich wirklich nicht ausgezahlt, ihn so gut zu pflegen. Ihr Staatsmänner wißt nicht, was das Wort >Danke< heißt. Was soll ich ihm jetzt zu essen geben, Salman?«
»Nichts«, erwiderte Salman düster.
Dulnikker lag eine Weile ungestört auf seinem Bett, sein ganzes Wesen schlaff und blutend, bis es ihn anfing aufzuregen, daß die Zeit ohne sein Wissen verging. Die Lampe war aus Mangel an Brennstoff schon lange ausgegangen, und das schwache Licht, das durch das kleine Fenster sickerte, genügte nicht, daß der Staatsmann die Zeiger seiner Uhr sehen konnte. Zumal die Uhr spurlos verschwunden war.
Plötzlich spürte Dulnikker, daß sich sein Magen mit einem seltsamen Laut umdrehte, und als der Anfall heftiger wurde, sprang er zur Tür und begann sie mit den Fäusten zu bearbeiten. Nach einer Weile hörte er draußen Schritte, und das Licht einer Lampe näherte sich der Tür.
»Wozu werden Sie so wild, Ingenieur?« schrie ihn der Barbier an. »Sie zerbrechen mir die Tür, wenn Sie so weitermachen!«
»Ich will hinaus!«
»Das haben wir bereits besprochen.«
»Dann geben Sie mir wenigstens zu essen!«
»Geben Sie mir Rat!«
»N-e-i-n!« keuchte Dulnikker und lehnte sich an die Wand, um nicht zusammenzubrechen. »Tot soll ich hier umfallen, aber ich werde Sie, Sie unverschämter Nichtsnutz, nie zu einem Bürgermeister de jure machen!«
»Schön, Dulnikker, wie Sie wünschen«, erwiderte der Barbier. Bevor er ging, fügte er hinzu: »Wenn Sie das nächste Mal klopfen, sollten Sie sicher sein, daß Sie irgendwelche Ideen haben!«
Der Staatsmann brach zusammen, setzte sich auf den kalten Fußboden, schob jedoch sofort die Lippen vor und kurbelte seinen Mut an, entschlossen, seinem Gefängnis zu entfliehen, selbst wenn er es auch alles selber machen mußte. Daher zog er das schärfste
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