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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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im Büro dieses Paters gewesen, da hatte er mir nämlich die Daumenschrauben angelegt und mit Uni-Verweis gedroht, woraufhin ich wohl tatsächlich patzig »Was soll’s?« gesagt haben soll, und das können Jesuiten gar nicht gut ab. Von daher war das Auftreten des Vizekommissionsleiters bei diesem Termin herablassend, skeptisch und leicht belustigt – er schien mein verändertes Erscheinungsbild und meine neue Sicht der Dinge vor allen Dingen komisch zu finden, für Possen oder einen Witz zu halten oder aber für einen Trick, mit dem ich mir ein weiteres Jahr ergaunern wollte, bevor ich in die von ihm sogenannte »Männerwelt« hinausziehen und mich allein durchschlagen musste, und ich konnte ihm die Bewusstwerdung und Schlussfolgerungen einfach nicht begreiflich machen, zu denen ich zuerst nachmittags vor dem Fernseher gelangt war und später dann, als ich ins falsche Seminar gestolpert war, ohne kindisch oder verrückt zu klingen, und das Ende vom Lied war, dass mir die Tür gewiesen wurde.
    Das war Anfang Januar 1979, an dem Tag, an dem es gerade zu schneien begann – ich erinnere mich, dass ich durchs Fenster des CTA -Nahverkehrszugs von Lincoln Park nach Libertyville zurück den großen, zaghaften einzelnen Schneeflocken nachsah, die herabsanken und im Fahrtwind des Zugs ziellos hin- und herstoben, und dachte »Das ist meine grobe Annäherung an ein menschenwürdiges Dasein« . Soweit ich mich erinnere, waren die gelben Bänder in der Stadt wegen der Geiselkrise im Nahen Osten und den Anschlägen auf die amerikanischen Botschaften allgegenwärtig. Ich wusste nur sehr vage, was eigentlich los war, was auch daran lag, dass ich seit der Erfahrung mit dem Fußball und As the World Turns Mitte Dezember nicht mehr ferngesehen hatte. Nicht dass ich danach bewusst die Entscheidung getroffen hätte, dem Fernsehen abzuschwören. Ich kann mich einfach bloß nicht erinnern, nach jenem Tag noch mal ferngesehen zu haben. Außerdem fühlte ich mich nach diesen Vorferienerfahrungen jetzt viel zu weit hinterher, als dass ich es mir hätte erlauben können, mit Fernsehen Zeit zu verschwenden. Teilweise hatte ich auch Angst, weil ich zu spät aufgerüttelt und motiviert worden war und auf den letzten Drücker irgendwie doch noch die entscheidende Chance »verpassen« würde, dem Nihilismus abzuschwören und eine sinnvolle, wirklichkeitsbezogene Entscheidung zu treffen. Dies alles spielte sich darüber hinaus im, wie sich zeigen sollte, schlimmsten Schneesturm in der jüngeren Geschichte Chicagos ab, und am Anfang des Frühjahrssemesters ’79 herrschte ein einziges Chaos, weil die Uni-Verwaltung der DePaul ständig Seminare absagen musste, weil niemand, der nicht auf dem Campus wohnte, garantieren konnte, pünktlich zum Seminarbeginn da zu sein, die Hälfte der Wohnheime konnte wegen eingefrorener Wasserleitungen noch nicht wieder geöffnet werden, das Dach vom Haus meines Vaters bekam von der angesammelten Schneelast Risse, und die Bewältigung der Statikprobleme blieb an mir hängen, weil meine Mutter zu sehr auf die logistischen Probleme fixiert war, die sich daraus ergaben, dass das ganze draußen ausgelegte Vogelfutter schneefrei gehalten werden musste. Ferner waren die meisten CTA -Verbindungen ausgefallen, und Busse wurden ohne Vorwarnung gestrichen, wenn sich abzeichnete, dass die Schneepflüge die Straßen nicht räumen konnten, und in jener ersten Woche musste ich jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe aufstehen und das Radio einschalten, um zu erfahren, ob an der DePaul an dem Tag überhaupt Seminare stattfanden, und wenn ja, musste ich versuchen, mich dorthin durchzuschlagen. Ich sollte noch erwähnen, dass mein Vater kein Autofahrer war – er war ein großer Anhänger des öffentlichen Nahverkehrs –, und La Voiture hatte meine Mutter im Rahmen der Liquidierung des Buchladens Joyce überlassen, also gab es kein Auto; manchmal konnte ich zwar bei Joyce mitfahren, aber ich drängte mich ihr ungern auf – meistens kam sie rüber, um bei meiner Mutter vorbeizuschauen, mit der es deutlich bergab ging und deretwegen wir alle uns zunehmend Sorgen machten, und später stellte sich heraus, dass Joyce sehr viel Zeit darauf verwendet hatte, psychologische Einrichtungen und Programme im North County ausfindig zu machen und zu klären, welche spezifische Pflege meine Mutter brauchen und wo sie zu finden sein könnte. Trotz des Schnees und der Temperaturen hatte meine Mutter es inzwischen beispielsweise aufgegeben, die Vögel

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