Der bleiche König: Roman (German Edition)
dem 4. Quartal des nächsten Jahres ein Jahr ganz ohne Arbeit und Studium zu finanzieren, in dem er sich ganz einem persönlichen Projekt hingeben und jede einzelne im Mai 1986 ausgestrahlte Sekunde fernsehen wollte. Die Frau, die neben Carol Pulte saß, hielt sich demonstrativ die Ohren zu und bat, man möge es ihnen bitte ersparen, sich das alles noch einmal anhören zu müssen. Carol Pultes Gesicht war rund und sommersprossig, aber ihre Lippen waren groß, vollkommen gestaltet und geschwollen, als würden sie wie Eigelb platzen, wenn man sie zu fest küsste. Keith Singh, der Fernsehen mit Schmutz und Schwäche assoziierte, wartete auf ein Zeichen von Sylvanshine, ob sie sich setzen oder nur mit den anderen Puschenpissern in der SB-Kantine Grußfloskeln austauschen sollten. Zwei G-2er, die laut ihren Ausweisen Tantillo bzw. Randall hießen, sprachen Claude Sylvanshine an, als stammte er aus einer völlig anderen Nation und Kultur. Anscheinend repräsentierten sie irgendwie die G-2er oder sprachen für sie. Seit es mit Ausnahme der ländlichsten und entlegensten Teile von Peoria überall Kabelfernsehen gab, standen nicht mehr nur die vier klassischen und traditionellen Fernsehsender zur Verfügung; darüber hinaus gab es Home Box Office, Cinemax, Chicagos W GN , Atlantas TNT -Superstation, CNN , ESPN , USA Network und einen Sonderkanal, der eigentlich nur einen Radarschwenk der Mitte von Illinois sendete und zeigte, ob und wo es Stürme gab. Insgesamt also zwölf Kanäle. Wenn man alles sehen wollte, was jeder Sender in einem Monat ausstrahlte, brauchte man dafür also zwölf Monate oder ein Jahr, und deswegen wollte er alle anderen Aktivitäten unterbinden. Singh beobachtete Sylvanshine, zu dessen Personalbegabungen eine Passivität gehörte, die nicht durchschmoren konnte und es unmöglich machte, ihn zu verärgern; er nickte nur ernsthaft und nachdrücklich, und Singh hatte einen Blick dafür, dass er derweil über ganz andere Dinge nachdachte. Hovatters Projekt setzte also voraus, so Tantillo, dass er im Mai ’86 mit einem VCR und/oder Sony Betamax alles aufzeichnen konnte, was bei den elf Sendern lief, die er nicht sehen konnte, während er einen verfolgte. Hovatter, der die grüne Schirmmütze eines Bankkassierers trug, hatte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen zurückgelehnt und schwieg. Ein anderer G-2er sagte, bis jetzt habe Hovatter acht Freunde zusammengebracht, die sich bereit erklärt hätten, dass Hovatter ihnen Fernseher und Videorekorder ins Haus brächte, Multivision den Haushalt verkabelte, woraufhin sie den Fernseher, auf einen bestimmten Kabelsender eingestellt, irgendwo in der Wohnung rund um die Uhr laufen und aufzeichnen ließen. Dieser G-2er war sehr klein, kompakt und lebhaft, der Typ, der beim Sprechen die Hände an den Seiten zu Fäusten ballte, und sein Ausweis hing wegen einer kaputten Alligatorklemme zwar schief und war schwer zu lesen, aber Singh wusste aus den Akten, dass das F. A. Runyon 79954 war, schon im zweiten Jahr, aber noch als G-2er bei den Zeitarbeitern. Tantillo erläuterte weiter, das aktuelle Problem seien die vier Freunde oder Assistenten, die Hovatter noch rekrutieren müsse, um sein Projekt durchführen zu können.
»Nein, nur drei«, korrigierte sich Tantillo. »Hovatter selbst ist ja der Zwölfte.«
Als Zeichen der Korrektur schlug sich Runyon mit dem Handballen an die Stirn.
»Dann löscht ihr in eurer Pause also die Hirnkassetten, indem ihr dieses außerdienstliche Projekt diskutiert«, sagte Sylvanshine.
»Und dann sind noch elf Fernseher und Videorekorder zu besorgen, Kabelanschlüsse für alle elf und außerdem Videokassetten.« Das kam von jemandem mit einem Haarwirbel, dessen Ausweis Singh nicht sehen konnte. »Vorausgesetzt, Hovatter hat schon einen Fernseher und das ganze Zubehör.«
Hovatter lächelte in sich hinein.
Randall sagte: »Nach dem Monat klemmt er die Kabelverbindungen wieder ab und gibt die Fernseher und Videorekorder zurück.«
»Dann sollte er besser die Quittungen aufbewahren«, sagte Sylvanshine mehr als Insiderwitz, um zu zeigen, dass er auf ihrer Wellenlänge war. Ein paar Leute nickten sehr ernst, aber niemand lachte. Pulte und die andere Frau zogen sich zurück, ohne groß ihre Abfälle einzusammeln oder das Kondenswasser ihrer Getränke abzuwischen, aus dem, wie Singh sah, ein komplex gedrehter Stern mit einem weiteren Muster im zentralen Fünfeck gezeichnet worden war, das durch partielle Verdunstung aber schon nicht mehr
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