Der bleiche König: Roman (German Edition)
Fast-Food-Mütze und einem Tablett in der Hand) die einsame Kuh oder das einzelne Schwein in der Tierkörperverwertungsanstalt beobachteten, in der Fingerhirse angekettet, und vier oder mehr schwachsinnige Albinokinder schmissen mit Steinen und Scherben, bis drinnen irgendeine Anlage betriebsbereit war und das Tier in einen schüttenartigen Pferch getrieben wurde, an dessen Seiten mehrere ältere Albinos mit Hämmern und Kleinkalibergewehren auf Schlackenbetonblöcken standen, und an dem Punkt kletterten Lehrl und seine Geschwister wieder runter und versuchten, die Autobahntangente wieder zu überqueren und auf der Straße vor ihrem Trailer weiterzuspielen. Lehrl, der in Wirklichkeit gar nicht in Decatur aufgewachsen war, sondern in Chadwick, einer gemütlichen Schlafstadt am Rand von Springfield, wo sein Vater Kämmerer in der Autobahn- und Verkehrskommission gewesen war und seine Mutter jahrelang im Grundbuchamt gearbeitet hatte, erzählte gern einen Schwank aus seiner Jugend, wenn er sich mit Sylvanshine bei einem Lagerbier Marke Dorfmurderer Onion in Sylvanshines halbstündiger Abschaltphase (22.40 bis 23.10 Uhr) entspannte, bevor sie schlafen gingen, und Sylvanshine hörte gern zu und unterbrach nur selten mit belanglosen Fragen oder bekundete an den passenden Stellen Besorgnis, und sei es nur, weil er eine Art Zärtlichkeit in sich spürte, wenn etwas Manifestes, aber Unbeschreibliches in der Hydraulik von Lehrls Lächeln so väterlich klarmachte, dass das Gesagte nicht ganz der Wahrheit entsprach. Es gab sehr viele kleine Variablen und Entschädigungen, die im Kräftespiel zwischen ihnen für Ausgleich sorgten, gewissermaßen eine komplexe Zapfen-und-Nut-Kongruität ihrer Aktiva und Passiva als Männer und Menschen, und Sylvanshine hatte sich das zwar nie bewusst klargemacht, aber das war einer der Gründe, warum sie so enge Freunde geworden waren, die Gesellschaft des anderen der anderer Menschen vorzogen und in Philadelphia dann sogar zusammengezogen waren, auch wenn dieser Schritt natürlich für Getuschel gesorgt hatte. Lehrl war ehrgeizig, wenn auch nicht auf konventionelle Weise; er hatte die gemeinsame Wohnung vorgeschlagen, und Sylvanshine musste zugeben, dass die Unkonventionalität von Lehrls Ehrgeiz und die seltsam selbstzerstörerische Eigenschaft vieler seiner Karriereentscheidungen – außergewöhnlichen administrativen Talenten und konstant hohen Beurteilungen Stellvertretender Direktoren in allen seinen bisherigen Dienststellen zum Trotz war Charles Lehrl immer noch ein G-2er und rangmäßig oft den Menschen untergeben, die er faktisch beaufsichtigte – einen großen Nivellierungs-(und Zärtlichkeits-)Mechanismus darstellten, da Sylvanshine selbst auch nicht gerade steil Karriere gemacht hatte, aber wenn er erst die CPA-Prüfung bestanden hätte, was jetzt nicht mehr lange dauern konnte, würde er ebenfalls zum G-2er befördert, und dann könnte er wenigstens genau die Hälfte ihrer gemeinsamen Fixkosten bezahlen, ein Tagtraum, dem Sylvanshine gerne nachhing, wenn er allein in Lederschlappen und kariertem Bademantel dasaß und das unumgängliche dritte Pinkeln abwartete, denn nach jedem Lager musste er dreimal die volle Blase leeren, damit er ins Bett gehen konnte, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass er ja ohnehin wieder würde aufstehen müssen, wenn seine Gedanken gerade Bildgestalt angenommen hatten, sprunghaft wurden und oft eine sepiabraune Färbung annahmen oder sogar wie durch einen lachsfarbenen/gelblichen Filter erschienen, was gewöhnlich ein Zeichen richtigen Einschlafens war und nicht nur das Symptom, dass er sich seine Angst vor der Schlaflosigkeit und den oft so schrecklichen Folgen des Schlafentzugs für seine Wachsamkeit und Konzentrationsfähigkeit am nächsten Tag ausreden wollte. Im Rechnungswesen ist kein Platz für Wuschigkeit, Trägheit oder andere Ablenkungen von eigenen Fähigkeiten oder anstehenden Problemen. Die Arbeit erfordert Sorgfalt, gusseiserne gedankliche Klarheit und Präzision. Das wusste Sylvanshine hundertprozentig.
Dieser in einer Kantine spielende Abschnitt zeigt Sylvanshine bei der Beobachtung mehrerer Figuren, die sonst nirgends im Roman auftauchen. Ihre zwanghafte Diskussion der Details eines hochkomplexen Projekts bricht abrupt ab, und die Figuren und das Projekt werden nie wieder erwähnt.
Es war 12.40 Uhr, im RPZ rollte die dritte Mittagswelle an, und Claude Sylvanshine und Keith Singh gingen in die SB-Kantine zurück, um ein
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