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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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wie Der bleiche König einzig des finanziellen Gewinns wegen zu schreiben. Ein Paradox des professionellen Schreibens besteht darin, dass Bücher, die nur des Geldes und/oder Ruhms wegen geschrieben werden, praktisch nie gut genug sind, um auch nur eins von beidem einzuheimsen. In Wahrheit hat die größere Erzählung, die dieses Vorwort umgibt, signifikanten sozialen und künstlerischen Wert. Das mag dünkelhaft klingen, aber seien Sie versichert, dass ich nicht drei Jahre schwere Arbeit (plus weitere fünfzehn Monate Hickhack mit Juristen und Lektoren) in den Bleichen König hätte investieren können oder wollen, wenn ich nicht von seiner Wahrheit überzeugt wäre. Schauen Sie sich beispielsweise die folgende wörtliche Transkription von Bemerkungen von Mr DeWitt Glendenning jr. an, der während der meisten Zeit meiner Anstellung im Regionalprüfzentrum Mittlerer Westen dessen Direktor war:
    Wenn Sie die Einstellung eines Menschen zu Steuern kennen, dann können Sie sich einen Begriff von [seiner] ganzen Philosophie machen. Wenn man das Steuerrecht erst einmal durchdrungen hat, umfasst es das ganze Wesen des [menschlichen] Lebens: Gier, Politik, Macht, Güte, Barmherzigkeit.
    Ich würde den Eigenschaften, die Mr Glendenning dem Steuerrecht zuschrieb, bei allem Respekt eine weitere hinzufügen: Langeweile. Undurchsichtigkeit. Benutzerunfreundlichkeit.
    Das lässt sich alles auch anders ausdrücken. Es klingt vielleicht trocken und streberhaft, aber das liegt daran, dass ich es bis auf das abstrakte Skelett abspecken möchte:
    1985 war ein Krisenjahr für das amerikanische Steuerwesen und für die Durchsetzung des US -amerikanischen Steuerrechts durch den Internal Revenue Service. In jenem Jahr kam es, kurz gesagt, nicht nur zu grundlegenden Veränderungen im operativen Mandat des Service, sondern auch zum Höhepunkt eines vertrackten, innerhalb des Service ausgefochtenen Kampfs zwischen Fürsprechern und Gegnern eines zunehmend automatisierten und computerisierten Steuersystems. Aus komplexen administrativen Gründen wurde das Regionalprüfzentrum Mittlerer Westen einer der Schauplätze, an denen diese Schlacht in ihrer entscheidenden Phase ausgetragen wurde.
    Aber das ist nur die halbe Geschichte. Wie oben schon in einer Fußnote angedeutet wurde, verbarg sich in diesem operativen Gefecht menschlicher vs. digitaler Vollstreckung des Steuerrechts ein tieferer Konflikt, der sich um den Auftrag und die raison des Service drehte, ein Konflikt, dessen Konsequenzen sich aus den Korridoren der Macht in Finanzministerium und Tripel-Sechs bis weit in die biedersten und provinziellsten Bezirksbüros erstreckten. Auf höchster Ebene wurde der Konflikt zwischen einerseits traditionellen oder »konservativen«
Anmerkung
Agenten, für die es in der Arena des Steuerwesens und seiner Verwaltung um Fragen von Sozialgerechtigkeit und Bürgertugend ging, und andererseits progressiveren und »pragmatischen« Entscheidungsträgern ausgefochten, die auf das Marktmodell, Effizienz und eine maximale Rendite auf das jährlich investierte Budget des Service pochten. Aufs Wesentliche eingedampft, war die Frage, ob und in welchem Ausmaß der IRS als kommerzielles Unternehmen geführt werden sollte.
    Als Zusammenfassung dürfte das fürs Erste genügen. Wenn Sie wissen, wie man Staatsarchive durchsucht und analysiert, werden Sie umfangreiche Bände zur Theorie und Geschichte beider Seiten der Debatte finden. Das ist alles öffentlich zugänglich.
    Der springende Punkt ist folgender. Damals wie heute wussten bzw. wissen nur sehr wenige Amerikaner von all dem. Genauso unbekannt sind die tief greifenden Veränderungen, die der Service Mitte der 1980er durchmachte, Veränderungen, die unmittelbare Auswirkungen darauf haben, wie die steuerlichen Verpflichtungen amerikanischer Bürger heute festgelegt und durchgesetzt werden. Der Grund für diese Unkenntnis der Öffentlichkeit ist keine Geheimniskrämerei. Der IRS kann zwar auf eine gut dokumentierte Geschichte der Paranoia und Öffentlichkeitsscheu zurückblicken
Anmerkung
, aber diese Angelegenheit hatte nichts mit Geheimniskrämerei zu tun. Der wahre Grund, warum US -Bürger sich dieser Konflikte, Veränderungen und Positionen weder bewusst waren noch sind, ist darin zu suchen, dass das gesamte Thema der Steuerpolitik und -verwaltung so stumpfsinnig ist. Massiv und spektakulär stumpfsinnig.
    Die Bedeutung dieser Tatsache kann man gar nicht hoch genug ansetzen. Versetzen Sie sich mal in die

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