Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
erscheint. Unter diesem Gesichtspunkt scheinen sowohl Cairns-Smiths Theorie als auch die Theorie der Ursuppe höchstens in Gefahr, deswegen falsch zu sein, weil sie zu plausibel sind. Nachdem ich all das gesagt habe, muß ich eins gestehen: In den Berechnungen ist so viel Unsicherheit enthalten, daß ich nicht wirklich aus der Fassung geriete, wenn es einem Chemiker tatsächlich gelänge, spontanes Leben zu erzeugen!
Wir wissen immer noch nicht genau, wie die natürliche Auslese auf der Erde angefangen hat. In diesem Kapitel habe ich nur das bescheidene Ziel verfolgt, zu erklären, durch welche Sorte von Vorgängen sie entstanden sein muß. Das gegenwärtige Fehlen einer endgültig akzeptierten Darstellung der Entstehung des Lebens sollte keinesfalls als Hemmschuh für die gesamte Darwinsche Weltsicht angesehen werden - was gelegentlich geschieht, wobei wahrscheinlich der Wunsch der Vater des Gedankens ist. In den früheren Kapiteln haben wir andere angebliche Hemmschuhe beseitigt, und im nächsten Kapitel greifen wir noch einen weiteren auf, die Idee nämlich, daß die natürliche Auslese nur zerstören, aber nichts aufbauen kann.
Kapitel 7 Konstruktive Evolution
Viele Leute denken, die natürliche Auslese sei eine rein negative Kraft, die Schwächlinge und Versager ausrotte, die aber Komplexität, Schönheit und Leistungsfähigkeit eines Bauplans nicht erstellen könne. Nimmt sie nicht lediglich bereits Vorhandenes weg, und sollte nicht ein wirklich kreativer Vorgang auch etwas hinzutun? Man kann die Antwort auf diese Frage zum Teil geben, indem man auf eine Statue zeigt. Nichts wird dem Marmorblock hinzugefügt. Der Bildhauer nimmt nur weg, und dennoch entsteht eine schöne Statue. Aber dieses Bild kann irreführen, denn ein paar Leute stürzen sich schnellstens geradewegs auf den falschen Teil der Metapher, daß der Bildhauer ein bewußter Baumeister ist, und verpassen den wichtigen Teil, daß der Bildhauer mit Subtraktion arbeitet und nicht mit Addition. Doch selbst diesen Teil der Metapher sollten wir nicht allzusehr strapazieren. Die natürliche Auslese kann vielleicht nur wegnehmen, aber die Mutation kann hinzufügen. Es gibt Wege, wo Mutation und natürliche Auslese zusammen über eine lange Spanne geologischer Zeit hinweg einen Aufbau von Komplexität erzielen können, der mehr mit Addition als mit Subtraktion zu tun hat. Dieser Aufbau kann auf zweierlei Weise geschehen. Die erste kennen wir unter dem Namen »koadaptierte Genotypen«, die zweite unter dem Namen »Wettrüsten«. Oberflächlich betrachtet sind die beiden recht verschieden voneinander, aber sie gehören zusammen unter den Uberschriften »Koevolution« und »Gene als gegenseitige Umwelt«.
Zuerst der Gedanke der »koadaptierten Genotypen«. Ein Gen hat einen speziellen Effekt, den es nur deshalb ausübt, weil eine Struktur existiert, auf die es wirken kann. Ein Gen kann keinen Einfluß auf die Verkabelung eines Gehirns haben, solange nicht zuerst einmal ein zu verkabelndes Gehirn da ist. Und es gibt zunächst einmal kein Gehirn, das verkabelt wird, es sei denn, es existiert ein vollständiger, sich entwickelnder Embryo. Und es gibt keinen sich entwickelnden Embryo, solange nicht ein ganzes Programm chemischer und zellulärer Ereignisse unter dem Einfluß von Unmengen anderer Gene sowie Unmengen anderer, nichtgenetischer kausaler Einflüsse existiert. Die speziellen Auswirkungen der Gene sind keine jenen Genen innewohnenden Merkmale. Es sind Merkmale embryologischer Prozesse, existierender Prozesse, deren Einzelheiten von Genen verändert werden können, die während der Entwicklung des Embryos an besonderen Orten und zu besonderen Zeitpunkten wirksam werden. Wir haben diese Einsicht in elementarer Form durch die Entwicklung der Computerbiomorphe demonstriert bekommen.
In einem gewissen Sinne kann man den ganzen Vorgang der Embryoentwicklung als ein gemeinschaftliches Unternehmen auffassen, gemeinsam unternommen von Tausenden von Genen. Embryos werden von allen aktiven, miteinander kooperierenden Genen in dem sich entwickelnden Organismus zusammengebaut. Jetzt kommt der Schlüssel zum Verständnis solcher Kooperation: Von der natürlichen Auslese werden Gene immer wegen ihrer Fähigkeit ausgelesen, in ihrer Umgebung zu gedeihen. Wir denken uns diese Umwelt häufig als die Außenwelt, die Welt von Räubern und Klima. Aber vom Standpunkt jedes einzelnen Gens aus gesehen, besteht der vielleicht wichtigste Teil seiner Umgebung aus all den
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