Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
einer Ursprungsstelle, dem befruchteten Ei, abstammen; und die daher alle Vettern, Kinder, Enkel, Onkel usw. von anderen Zellen im Körper sind. Die zehn Billionen Zellen, aus denen jeder von uns besteht, sind das Produkt von ein paar Dutzend Generationen von Zellzweiteilungen. Diese Zellen sind in ungefähr 210 (je nach Ansicht) unterschiedliche Sorten unterteilt, alle von demselben Satz von Genen gebaut, wobei aber in unterschiedlichen Sorten von Zellen unterschiedliche Mitglieder aus dem Satz von Genen »eingeschaltet« werden. Deswegen sind, wie wir gesehen haben, Leberzellen anders als Gehirnzellen und Knochenzellen anders als Muskelzellen.
Gene, die durch die Organe und Verhaltensmuster vielzelliger Körper arbeiten, können Methoden erzielen, um ihre eigene Verbreitung sicherzustellen, die einzelnen, allein arbeitenden Zellen nicht zur Verfügung stehen. Vielzellige Körper machen es den Genen möglich, die Welt zu manipulieren, wobei sie Werkzeuge von einer Größe benutzen, die mehrere Größenordnungen über der Größe einzelner Zellen liegt. Sie erzielen diese indirekten Manipulationen großen Maßstabs über ihre direkteren Auswirkungen auf der Miniaturebene von Zellen. Sie verändern beispielsweise die Form der Zellmembran. Die Zellen arbeiten dann in riesigen Populationen in Wechselwirkung miteinander, um Gruppeneffekte großen Maßstabs, etwa einen Arm oder ein Bein oder (noch indirekter) einen Biberdamm, zu erzeugen. Die Mehrheit der Merkmale eines Organismus, die wir mit unbewehrtem Auge sehen können, sind sogenannte emergente Merkmale. Selbst die Computerbiomorphe, mit ihren neun Genen, besaßen emergente Merkmale. Im wirklichen Leben entstehen sie auf der Ebene des gesamten Körpers durch Wechselwirkung unter den Zellen. Ein Organismus funktioniert wie eine Einheit, und man kann sagen, daß seine Gene Wirkungen auf den gesamten Organismus ausüben, obgleich jede Kopie jedes beliebigen Gens seine direkten Wirkungen nur innerhalb seiner eigenen Zellen ausübt.
Wie wir gesehen haben, besteht ein sehr wichtiger Teil der Umwelt eines Gens aus den anderen Genen, die es im Verlauf der Generationen wahrscheinlich in aufeinanderfolgenden Körpern treffen wird. Das sind die Gene, die innerhalb der Art ausgetauscht und kombiniert werden. Tatsächlich kann man eine sich sexuell fortpflanzende Art als eine Vorrichtung auffassen, die einen abgeschlossenen Satz von gegenseitig aneinander gewöhnten Genen in unterschiedlichen Kombinationen austauscht. Dieser Ansicht nach sind Arten sich fortwährend durcheinandermischende Kollektionen von Genen, die einander innerhalb der Art treffen, aber niemals auf Gene anderer Art stoßen. In einer Hinsicht jedoch stellen die Gene verschiedener Arten, selbst wenn sie nicht im Innern der Zellen eng aufeinandertreffen, dennoch einen wichtigen Teil der gegenseitigen Umwelt dar. Ihre Beziehung ist häufig eher feindlich als kooperativ, aber das können wir einfach als Umkehrung des mathematischen Vorzeichens behandeln. Hier kommen wir nun zu dem zweiten wichtigen Thema dieses Kapitels, dem »Wettrüsten«. Es gibt Wettrüsten zwischen Räubern und ihrer Beute, zwischen Parasiten und Wirten, ja sogar - obwohl das ein recht subtiler Punkt ist, den ich hier nicht weiter erörtere - zwischen Männchen und Weibchen einer Art.
Wettrüsten findet im Lauf der Evolution statt, nicht in der Lebenszeit von Individuen. Es besteht in der Verbesserung der Ausrüstung einer Abstammungslinie (sagen wir z. B. der Beutetiere) zum Überleben als unmittelbare Folge der durch Evolution verbesserten Ausrüstung eines anderen Stammbaums (sagen wir der Räuber). Wettrüsten gibt es überall dort, wo Individuen Feinde haben mit eigener Kapazität der evolutiven Verbesserung. Ich messe dem Wettrüsten allergrößte Bedeutung zu, weil es den größten Anteil an der »Fortschrittlichkeit« in der Evolution hat, wie wir sie heute sehen. Denn im Widerspruch zu früher bestehenden Vorurteilen gibt es nichts inhärent Progressives an der Evolution. Wir erkennen das, wenn wir darüber nachdenken, was geschehen wäre, wenn die Tiere sich mit keinerlei anderen Problemen auseinandersetzen müßten als denen, die sich aus dem Wetter und anderen Aspekten der nichtlebendigen Umwelt ergeben.
Nach vielen Generationen kumulativer Selektion an einem gegebenen Ort hätten sich die lokalen Tiere und Pflanzen den Bedingungen, beispielsweise den Wetterbedingungen, an diesem Ort gut angepaßt. Wenn es kalt ist, hätten
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