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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Kontinuismus, denn sie sind genauso echte Kontinuisten wie alle anderen auch.
    Selbst die Betonung der Stasis kann man, in nicht so übertriebener Form, in Mayrs Theorie der Artbildung finden. Er glaubte, daß von den zwei geographisch getrennten Rassen die ursprüngliche große Vorfahrenpopulation sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit ändert als die neue »Tochter«population (auf der anderen Seite der Berge im Fall unseres Spitzmausbeispiels). Und zwar nicht nur, weil sich die Tochterpopulation in neue Gegenden begeben hat, wo die Bedingungen wahrscheinlich anders und der Druck der natürlichen Auslese verändert sind. Sondern auch, weil es einige theoretische Gründe (die Mayr hervorhob, deren Bedeutung aber angezweifelt werden kann) für die Annahme gibt, daß große, sich fortpflanzende Populationen eine inhärente Tendenz haben, evolutionärer Veränderung zu widerstehen. Eine geeignete Analogie ist in der Trägheit eines großen, schweren Gegenstandes zu sehen; er ist schwer zu verschieben. Bei kleinen, am Rande existierenden Populationen ist es, da sie klein sind, naturgemäß wahrscheinlicher, sagt die Theorie, daß sie sich verändern, entwickeln. Daher würde - im Unterschied zu meiner Annahme, daß sich die zwei Populationen oder Rassen von Spitzmäusen voneinander entfernen - Mayr es vorziehen, die ursprüngliche Ahnenpopulation als relativ statisch anzusehen und die neue Population als relativ variabel. Der Ast des evolutionären Baumes gabelt sich nicht in zwei gleiche Zweige: stattdessen gibt es einen Hauptstamm, von dem ein Seitenzweig absprießt.
    Die Vertreter der Theorie des unterbrochenen Gleichgewichts nahmen diesen Gedanken Mayrs und übertrieben ihn zu einem starren Glauben, daß »Stase« die Norm für eine Art darstellt. Sie glauben, daß es in großen Populationen genetische Kräfte gibt, die sich dem evolutionären Wandel aktiv widersetzen. Evolutionärer Wandel ist für sie ein seltenes Ereignis, das mit Artbildung zusammenfällt. Es koinzidiert mit Speziation in dem Sinne, daß, ihrer Ansicht nach, die Bedingungen für neue Arten - geographische Trennung kleiner, isolierter Unterpopulationen - genau diejenigen sind, unter denen die Kräfte, die normalerweise dem evolutionären Wandel widerstehen, gelockert oder zerstört werden. Speziation ist eine Zeit des Aufstands oder der Revolution. Und evolutionäre Veränderung konzentriert sich auf diese Zeiten des Aufstands. Während des Großteils der Geschichte einer Abstammungslinie stagniert sie.
    Es ist nicht wahr, daß Darwin meinte, die Evolution schritte mit einer gleichbleibenden Rate voran. Ganz gewiß glaubte er das nicht in dem lächerlich extremen Sinn, den ich mit meiner Parabel der Kinder Israels karikiert habe, und ich glaube nicht, daß er es in irgendeinem anderen Sinn meinte. Das Zitat der folgenden wohlbekannten Passage aus der vierten Auflage (und späteren Auflagen) seines Buches Die Entstehung der Arten ärgert Gould, denn er meint, sie sei für Darwins allgemeine Denkweise nicht repräsentativ:
    »Viele Arten machen, nachdem sie einmal gebildet sind, keinerlei weitere Veränderungen mehr durch ... ; und die Perioden, während deren die Art Modifikationen unterlag, [waren] nach Jahren gemessen wohl lang, aber nur kurz im Vergleich zu den Zeiten, in denen die Arten unverändert blieben.«
    Gould versucht, diesen Satz und andere ähnliche abzutun, indem er sagt:
    »Man kann nicht Geschichte schreiben, indem man selektiv zitiert und nach einschränkenden Fußnoten sucht. Allgemeiner Sinn und historische Auswirkung sind die geeigneten Kriterien. Haben Darwins Zeitgenossen oder Nachkommen ihn je als Saltationisten gelesen?«
    Gould hat natürlich recht mit allgemeinem Sinn und historischem Verständnis, aber der letzte Satz seines Zitats ist ein höchst aufschlußreicher faux pax. Natürlich hat niemals jemand Darwin als einen Saltationisten verstanden, und natürlich war Darwin stets und ständig gegen den Saltationismus, aber der springende Punkt ist doch, daß Saltationismus gar nicht das Thema ist, wenn wir über unterbrochene Gleichgewichte sprechen. Wie ich betont habe, ist die Theorie des unterbrochenen Gleichgewichts, nach Eldredges und Goulds eigener Auffassung, keine saltationistische Theorie. Die Sprünge, die sie behaupten, sind keine realen, in einer Generation stattfindenden Sprünge. Sie sind verteilt über große Zahlen von Generationen in Zeiträumen von, nach Goulds eigenen Schätzungen, vielleicht

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