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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Geschwindigkeit« andererseits glauben, daß die Evolutionsraten kontinuierlich von sehr schnell zu sehr langsam und stop reichen, mit allen Zwischenstufen. Sie sehen keinen besonderen Grund, irgendwelche Geschwindigkeiten stärker hervorzuheben als andere. Insbesondere ist die Stase für sie ein extremer Fall ultralangsamer Evolution. Für einen Intervallisten ist die Stase etwas ganz Besonderes. Sie ist für ihn nicht einfach nur extrem langsame Evolution mit der Rate gleich Null: Stase ist nicht nur passives Fehlen von Evolution, weil es keine Triebkraft zugunsten des Wandels gibt. Statt dessen bedeutet Stase einen positiven Widerstand gegen evolutionäre Veränderung. Es ist fast so, als stelle man sich vor, die Arten unternähmen aktive Schritte, um keine Evolution durchzumachen, trotz der Triebkräfte zugunsten der Evolution.
    Die Zahl der Biologen, die darin übereinstimmen, daß Stase ein reales Phänomen ist, ist größer als die Zahl der Biologen, die sich über ihre Gründe einig sind. Nehmen wir den Quastenflosser Latimeria als extremes Beispiel.
    Die Quastenflosser waren eine große Gruppe von »Fischen« (tatsächlich nennt man sie zwar Fisch, aber sie sind näher mit uns Menschen verwandt als mit Forelle und Hering), die vor 250 Millionen Jahren lebten und scheinbar zur selben Zeit ausstarben wie die Dinosaurier. Ich sage, sie starben »scheinbar« aus, denn im Jahre 1938 tauchte im Fang eines Fischerboots vor der Küste Südafrikas zur großen Verwunderung der zoologischen Welt ein sonderbarer Fisch auf, fast anderthalb Meter lang und mit ungewöhnlichen, beinähnlichen Flossen. Obwohl er fast zerstört war, bevor man seinen unbezahlbaren Wert erkannte, wurde ein qualifizierter südafrikanischer Zoologe gerade noch rechtzeitig auf die bereits im Zerfall befindlichen Reste aufmerksam gemacht. Der glaubte kaum seinen Augen zu trauen, identifizierte den Fisch als einen lebenden Quastenflosser und nannte ihn Latimeria.
    Seitdem sind weitere Exemplare um Mauritius auch lebend beobachtet worden, und die Art ist nun angemessen erforscht und beschrieben worden. Es ist ein »lebendes Fossil« in dem Sinne, daß es sich seit der Zeit seiner fossilen Vorfahren, die vor Hunderten von Millionen Jahren lebten, fast gar nicht verändert hat.
    Es gibt also Stase. Was sollen wir nun damit anfangen? Wie erklären wir sie? Einige von uns würden sagen, daß die zu Latimeria führende Stammesgeschichte stillstand, da die natürliche Auslese sie nicht bewegte. In gewissem Sinne bestand keine »Notwendigkeit« der Evolution, denn diese Tiere hatten eine erfolgreiche Lebensweise im Meer erprobt, wo die Bedingungen sich nicht viel verändert haben. Vielleicht haben sie niemals bei irgendeinem Wettrüsten mitgemacht. Ihre Vettern, die ans Land stiegen, machten Evolution durch, da die natürliche Auslese unter einer Vielzahl feindlicher Bedingungen, darunter Wettrüsten, sie dazu zwang. Andere Biologen, unter ihnen einige derjenigen, die sich selbst Intervallisten nennen, könnten sagen, daß sich die zur heutigen Latimeria führende Stammesgeschichte aktiv der Veränderung widersetzte, ungeachtet des Drucks der natürlichen Auslese, der sie möglicherweise ausgesetzt war. Wer hat recht? In dem speziellen Fall von Latimeria ist es schwierig zu entscheiden, aber es gibt eine Methode, mit der wir im Prinzip versuchen können, herauszufinden, wer recht hat.
    Denken wir, um gerecht zu sein, nicht weiter an den speziellen Fall Latimeria. Es ist ein eindrucksvolles Beispiel, aber ein sehr extremes und keins, dem die Intervallisten besonders trauen wollen. Sie glauben, daß weniger extreme und kürzerfristige Beispiele von Stase üblich, ja sogar die Norm sind, denn die Arten besitzen genetische Mechanismen, die sich einer Veränderung aktiv widersetzen, selbst wenn es Kräfte der natürlichen Auslese gibt, die zur Veränderung drängen. Hier nun das sehr einfache Experiment, das wir, zumindest im Prinzip, zur Prüfung dieser Hypothese durchführen können: Wir können wildlebende Populationen herausgreifen und ihnen unsere eigenen Auslesekräfte aufzwingen. Nach der Hypothese, daß Arten sich aktiv der Veränderung widersetzen, sollten wir zu dem Ergebnis kommen, daß die Arten, wenn wir eine besondere Eigenschaft herauszuzüchten versuchen, sozusagen »die Fersen einstemmen« und sich weigern, nachzugeben, zumindest eine Zeitlang. Wenn wir zum Beispiel versuchen, Kühe selektiv für hohen Milchertrag zu züchten, so sollten wir

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