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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Zehntausenden von Jahren. Die Theorie der unterbrochenen Gleichgewichte ist kontinuistisch, auch wenn sie Gewicht darauf legt, daß lange Perioden der Stagnation zwischen relativ kurze Ausbrüche kontinuistischer Evolution eingeschoben sind. Gould hat durch seine rhetorische Betonung der rein poetischen und literarischen Ähnlichkeit zwischen Intervallismus einerseits und echtem Saltationismus andererseits sich selbst in die Irre geführt.
    Es wird meiner Meinung nach das Verständnis erleichtern, wenn ich an dieser Stelle eine Reihe möglicher Ansichten über Evolutionsraten zusammenfasse. An einem extremen Ende haben wir echten Saltationismus, den ich bereits zur Genüge erörtert habe. Unter modernen Biologen gibt es keine echten Saltationisten. Wer kein Saltationist ist, ist Kontinuist, und das schließt auch Eldredge und Gould ein, gleichgültig, wie sie selbst sich bezeichnen mögen. Innerhalb des Kontinuismus können wir verschiedene Ansichten über (graduelle) Evolutionsraten unterscheiden. Einige dieser Ansichten haben, wie wir gesehen haben, eine rein oberflächliche (»literarische« oder »poetische«) Ähnlichkeit mit echtem, antikontinuistischem Saltationismus, was der Grund ist, weshalb sie gelegentlich mit ihm verwechselt werden.
    Als anderes Extrem haben wir ein »Beibehalten einer konstanten Geschwindigkeit«, wie ich es in der Exodusparabel am Anfang dieses Kapitels karikiert habe. Wer diese These der konstanten Geschwindigkeit in extremer Weise vertritt, meint, daß die Evolution die ganze Zeit über stetig und unausweichlich dahintrottet, ob nun irgendeine Abzweigung oder Artbildung vor sich geht oder nicht. Er glaubt, daß die Menge der evolutionären Veränderung streng der verflossenen Zeit proportional ist. Ironischerweise ist eine Spielart dieser Ansicht von der konstanten Geschwindigkeit in jüngster Zeit unter modernen Molekulargenetikern außerordentlich beliebt geworden. Es lassen sich gute Argumente dafür vorbringen, daß der evolutive Wandel auf der Ebene der Eiweißmoleküle wirklich konstant abläuft, geradeso wie die hypothetischen kleinen Schritte der Kinder Israels; und das auch dann, wenn äußerlich sichtbare Merkmale wie Arme und Beine sich in Intervallen entwickeln. Wir sind diesem Thema bereits in Kapitel 5 begegnet, und ich werde im nächsten Kapitel wieder darauf zurückkommen. Für die Anpassung großer Strukturen und Verhaltensmuster würden jedoch praktisch alle Evolutionsbiologen die These von der konstanten Geschwindigkeit ablehnen, und Darwin hätte sie ganz gewiß zurückgewiesen. Jeder, der nicht konstante Geschwindigkeit vertritt, vertritt variable Geschwindigkeit.
    Innerhalb der These der variablen Geschwindigkeit können wir zwischen zwei Ansichten unterscheiden, »gestuft variable Geschwindigkeit« und »kontinuierlich variable Geschwindigkeit«. Ein extremer Vertreter der ersteren Ansicht glaubt nicht nur, daß die Evolution sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit fortbewegt, sondern auch, daß die Geschwindigkeit abrupt von einem deutlich unterscheidbaren Niveau auf ein anderes springt, wie beim Schalten der verschiedenen Gänge eines Autos. Er kann z. B. meinen, daß die Evolution nur zwei Geschwindigkeiten kennt: sehr schnell und stop. (Ich kann nicht umhin, mich dabei an die Demütigung durch mein erstes Schulzeugnis zu erinnern. Die Leiterin urteilte über meine Leistung als Siebenjähriger beim Zusammenlegen von Kleidern, Kaltbaden und anderen täglichen Routineaufgaben der Grundschule: Dawkins kennt nur drei Geschwindigkeiten: langsam, sehr langsam und stop.) »Abgestoppte« Evolution ist die »Stase«, von der die Intervallisten annehmen, sie sei für große Populationen charakteristisch. Höchstgeschwindigkeitsevolution erfolgt während der Artbildung in kleinen isolierten Populationen am Rande großer, evolutionsmäßig gesehen statischer Populationen. Nach dieser Ansicht befindet sich die Evolution immer in einem dieser beiden Gänge, niemals dazwischen. Eldredge und Gould tendieren in Richtung der »deutlich verschiedenen Geschwindigkeiten«, und in dieser Beziehung sind sie wahrhaftig radikal. Man kann sie als Vertreter der ersten These bezeichnen. Nebenbei gesagt gibt es keinen besonderen Grund, warum ein Vertreter der gestuft variablen Geschwindigkeit unbedingt die Artbildung als die Zeit betonen sollte, in der die Evolution auf Hochtouren läuft. In der Praxis jedoch tun es die meisten von ihnen.
    Verfechter der »kontinuierlich variierenden

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