Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
vor sich geht (und zwar bei Artbildungsvorgängen, die eine Art Krisenatmosphäre schaffen, in der der angeblich normale Widerstand gegen evolutionäre Veränderung gebrochen wird), und daß während langer dazwischenliegender Perioden der Ruhe nur sehr langsame oder gar keine Evolution stattfindet. Wenn wir »relativ« kurz sagen, meinen wir natürlich kurz im Verhältnis zu geologischen Zeitmaßstäben im allgemeinen. Selbst die evolutionären Schübe der Intervallisten haben, obwohl sie nach geologischen Maßstäben blitzschnell sind, immer noch eine Dauer, die in Zehn- oder Hunderttausenden von Jahren gemessen wird.
An diesem Punkt ist ein Gedanke des berühmten amerikanischen Evolutionstheoretikers G. Ledyard Stebbins aufschlußreich. Stebbins kümmert sich nicht spezifisch um schubweise Evolution, sondern versucht nur, auf dem Hintergrund der Skala verfügbarer geologischer Zeit die Geschwindigkeit revolutionären Wandels zu dramatisieren. Er stellt sich eine Tierart vor von ungefähr der Größe einer Maus. Dann nimmt er an, daß die natürliche Auslese einen Zuwachs an Körpergröße begünstigt, aber nur sehr, sehr wenig. Vielleicht haben größere Männchen einen geringfügigen Vorteil in der Konkurrenz um Weibchen. Zu jeder Zeit sind Männchen von durchschnittlicher Größe geringfügig weniger erfolgreich als Männchen, die ein winziges bißchen größer als der Durchschnitt sind. Stebbins bezeichnete den mathematischen Vorteil der größeren Männchen in seinem hypothetischen Beispiel mit einer exakten Zahl. Er ließ den Wert dieser Zahl so außerordentlich klein sein, daß er von menschlichen Beobachtern nicht gemessen werden kann. Die Rate des hervorgerufenen evolutionären Wandels ist folglich so langsam, daß sie ein normaler Mensch im Verlauf seines Lebens nicht bemerken würde. Der Wissenschaftler, der die Evolution in der Praxis studiert, erkennt an diesen Tieren überhaupt keine Evolution. Dennoch entwickeln sie sich sehr langsam, mit einer Rate, die durch Stebbins’ mathematische Annahme gegeben ist, und selbst mit dieser langsamen Rate würden sie schließlich einmal die Größe von Elefanten erreichen. Wie lange würde dies dauern? Nach menschlichen Maßstäben offensichtlich eine lange Zeit, aber menschliche Maßstäbe sind hier nicht relevant. Wir sprechen von geologischer Zeit. Nach Stebbins würde es bei seiner angenommenen, sehr niedrigen Evolutionsrate etwa 12 000 Generationen dauern, bis sich die Tiere von einem Durchschnittsgewicht von 40 Gramm (Mausgröße) zu einem durchschnittlichen Gewicht von 6 Millionen Gramm (Elefantengröße) entwickeln. Wenn wir eine Generationslänge von 5 Jahren zugrunde legen, was länger ist als die Generation einer Maus, aber kürzer als die eines Elefanten, würden 12 000 Generationen ungefähr 60 000 Jahre in Anspruch nehmen. Eine Zeitspanne von 60 000 Jahren ist zu kurz, als daß sie mit den gewöhnlichen geologischen Datierungsmethoden der Fossilienurkunden gemessen werden könnte. Wie Stebbins sagt: »Die Entstehung einer neuen Sorte von Tieren in 100 000 Jahren oder weniger wird von Paläontologen als >plötzlich< oder >blitzschnell< angesehen.«
Die Intervallisten sprechen nicht von Sprüngen in der Evolution, sie sprechen von Zeitabschnitten relativ rascher Evolution. Und selbst diese Zeitabschnitte brauchen nach menschlichen Maßstäben nicht kurz zu sein, um nach geologischen Maßstäben als »Moment« zu gelten. Was immer wir von der Theorie der unterbrochenen Gleichgewichte halten mögen, es ist allzu leicht, den Kontinuismus (die Ansicht, die sowohl von modernen Intervallisten als auch von Darwin vertreten wird bzw. wurde, daß es zwischen einer Generation und der nächsten keine plötzlichen Sprünge gibt) mit der These der »konstanten evolutionären Geschwindigkeit« (die von den Intervallisten abgelehnt wird und die angeblich von Darwin vertreten worden sein soll, was aber nicht stimmt) zu verwechseln. Sie sind keineswegs dasselbe. Die Ansichten der Intervallisten werden richtig folgendermaßen charakterisiert: »kontinuistisch, aber mit langen Perioden der >Stase< (evolutionäre Stagnation), die zwischen kurzen Zeitabschnitten raschen schrittweisen Wandels liegen, d. h. diese unterbrechen«. Die Betonung liegt dann auf den langen Perioden der Stase als dem zuvor übersehenen Phänomen, das wirklich der Erklärung bedarf. Diese Betonung der Stase stellt den wirklichen Beitrag der Intervallisten dar, nicht ihre behauptete Ablehnung des
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