Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Fossilienmaterial verfügten, müßten wir getrennte Namen aufgeben und auf irgendein mathematisches oder graphisches Bezeichnungssystem gleitender Skalen zurückgreifen. Der menschliche Geist zieht getrennte Namen vor, und so ist es in gewissem Sinn sehr gut, daß das Fossilienmaterial kümmerlich ist.
Wenn wir alle Tiere in Betracht ziehen, die jemals gelebt haben, und nicht nur die rezenten Tiere, werden Wörter wie »Mensch« und »Vogel« an ihren Grenzen geradeso verschwommen und unklar wie die Wörter »groß« und »dick«. Die Zoologen können darüber streiten, ob ein spezielles Fossil ein Vogel ist oder nicht, ohne je zu einer Lösung zu kommen. Tatsächlich streiten sie häufig über gerade diese Frage in bezug auf das berühmte Fossil Archaeopteryx. Es zeigt sich, daß »Vogel/Nichtvogel« nur deshalb eine deutlichere Unterscheidung ist als »groß/klein«, weil im Fall Vogel/Nichtvogel alle störenden Zwischenformen tot sind. Wenn eine sonderbar selektive Pest einherkäme und alle Leute mittlerer Größe tötet, würde »groß« und »klein« schließlich eine genauso präzise Bedeutung annehmen wie »Vogel« oder »Säugetier«.
Nicht nur die zoologische Klassifikation wird durch die bequeme Tatsache, daß die meisten Zwischenformen heutzutage ausgestorben sind, vor unangenehmer Zweideutigkeit gerettet. Das gleiche gilt auch für Ethik und Recht der Menschen. Unsere rechtlichen und moralischen Systeme sind zutiefst artgebunden. Der Direktor eines Zoos ist gesetzlich dazu befugt, einen Schimpansen, der den Bedarf des Zoos übersteigt, zu »beseitigen«, wohingegen jeder Vorschlag, einen überzähligen Wärter oder Eintrittskartenverkäufer zu beseitigen, mit ungläubigem Zorn aufgenommen würde. Der Schimpanse ist Eigentum des Zoos. Von Menschen nimmt man heutzutage nicht an, daß sie irgend jemandes Eigentum sind, doch die logische Grundlage für eine derartige Diskriminierung von Schimpansen wird selten deutlich erklärt, und ich bezweifle, ob es dafür überhaupt eine diskutierbare logische Grundlage gibt. Der Artegoismus unserer christlich inspirierten Einstellung ist derart atemberaubend, daß das Abtreiben einer einzigen menschlichen Zygote (die meisten von ihnen sind sowieso dazu bestimmt, spontan abortiert zu werden) mehr moralische Beunruhigung und gerechten Zorn erregen kann als die Vivisektion beliebig vieler intelligenter erwachsener Schimpansen! Ich habe anständige, liberale Naturwissenschaftler, die nie tatsächlich einen lebendigen Schimpansen aufschneiden würden, dennoch leidenschaftlich ihr Recht verteidigen hören, es nach Wunsch zu tun, ohne daß das Gesetz sich einschalten dürfe. Solche Leute sind oft die ersten, die sich über die geringste Verletzung der Menschenrechte aufregen. Wir können mit einem solchen doppelten Wertmaßstab nur deswegen ruhig leben, weil alle Zwischenstufen zwischen Mensch und Schimpanse tot sind.
Der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch und Schimpanse lebte vielleicht vor relativ kurzer Zeit, etwa vor fünf Millionen Jahren, definitiv vor kürzerer Zeit als der gemeinsame Vorfahr von Schimpansen und Orang-Utans, und vielleicht 30 Millionen Jahre später als der gemeinsame Vorfahre von Schimpansen und gewöhnlichen Affen. Schimpanse und Mensch haben mehr als 99 Prozent ihrer Gene gemeinsam. Wenn auf einigen vergessenen Inseln irgendwo auf der Welt die Überlebenden aller Zwischenstufen bis zurück zum gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch entdeckt würden, wer würde daran zweifeln, daß unsere Gesetze und unsere moralischen Konventionen zutiefst beeinflußt würden, besonders, da es vermutlich Paarungen entlang der Skala geben würde? Entweder müßte man der ganzen Skala volle Menschenrechte gewähren (Stimmrecht für Schimpansen), oder es müßte ein ausgeklügeltes Apartheidsystem diskriminierender Gesetze geben und Gerichtshöfe, die darüber entscheiden, ob spezielle Individuen, gesetzlich gesehen, »Schimpansen« oder »Menschen« sind; und es würde Leute, geben, die sich darüber aufregen, wenn ihre Töchter einen von »ihnen« heiraten wollten. Die Welt ist wohl bereits so gut erforscht, daß wir hoffen können, diese läuternde Phantasievorstellung tritt nie ein. Aber jeder, der meint, an den Menschenrechten« sei etwas Offensichtliches und Selbstverständliches, sollte über das pure Glück nachdenken, daß diese störenden Zwischenstufen zufällig nicht überlebt haben. Wenn andererseits die Schimpansen erst jetzt entdeckt worden
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