Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
taxonomischen Einschachtelns tritt weder bei Büchern noch bei Sprachen, Bodentypen oder philosophischen Denkschulen auf. Wenn ein Bibliothekar einen Kreis um die Biologiebücher zieht und einen anderen um die Theologiebücher, wird er herausfinden, daß sich die zwei Kreise überschneiden. In der Überschneidungszone befinden sich Bücher mit Titeln wie »Biologie und christlicher Glaube«.
Auf den ersten Blick könnten wir erwarten, daß die Klassifikation von Sprachen ebenfalls die Eigenschaft des perfekten Einschachtelns aufweist. Wie wir in Kapitel 8 gesehen haben, entwickeln sich Sprachen in einer recht tierähnlichen Weise. Sprachen, die noch nicht lange vom gemeinsamen Ursprung abgewichen sind, wie Schwedisch, Norwegisch und Dänisch, sind einander viel ähnlicher als Sprachen, die sich schon vor längerer Zeit abgespalten haben, wie Isländisch. Aber Sprachen spalten sich nicht nur ab, sie verschmelzen auch miteinander. Das moderne Englisch ist ein Hybride zwischen germanischen und romanischen Sprachen, die sich viel früher getrennt hatten, und Englisch würde daher nicht sauber in irgendein hierarchisches Einschachtelungsdiagramm hineinpassen. Es würde sich zeigen, daß die Kreise, die Englisch einschließen, sich zum Teil überschneiden. Kreise der biologischen Klassifikation überschneiden sich niemals, weil die biologische Evolution oberhalb der Artebene immer divergiert.
Kehren wir zu unserem Beispiel der Bibliothek zurück: Kein Bibliothekar kann das Problem der zwischen den Kategorien liegenden Titel oder Überlappungen völlig vermeiden. Es hat keinen Sinn, die Biologie- und die Theologieabteilung nebeneinander zu legen und die dazwischenliegenden Bücher im Flur dazwischen einzuquartieren, denn was tun wir dann mit Büchern, die zwischen Biologie und Chemie, Physik und Theologie, Geschichte und Theologie, Geschichte und Biologie liegen? Ich glaube, ich habe recht, wenn ich behaupte, daß das Problem der Mischthemen unausweichlich, inhärent ein Teil aller taxonomischen Systeme ist, mit Ausnahme des einen taxonomischen Systems, das aus der Evolutionsbiologie entsteht. Für mich persönlich ist es ein Problem, das mich fast physisch quält, wenn ich mich mit den bescheidenen Ablageaufgaben, die in meinem Berufsleben auftauchen, befasse: Einordnen meiner Bücher sowie der Sonderdrucke wissenschaftlicher Arbeiten, die mir Kollegen (mit den besten Absichten) zusenden, in Regale, Abheften von Verwaltungspapieren, alten Briefen usw. Welche Kategorien auch immer man einem Ablagesystem zugrunde legt, es gibt immer ärgerliche Posten, die nicht passen, und die unbehagliche Unentschiedenheit veranlaßt mich (es tut mir leid, das zugeben zu müssen), einzelne Papiere unaufgeräumt auf dem Tisch zu lassen, manchmal jahrelang, bis ich sie beruhigt wegwerfen kann. Oft greift man unbefriedigt auf eine Kategorie »Verschiedenes« zurück, eine Kategorie, die, nachdem sie einmal eingeführt ist, die bedrohliche Tendenz hat, größer zu werden. Ich möchte wirklich gern wissen, ob Bibliothekare und Kustoden in Museen - außer in biologischen - besonders anfällig für Magengeschwüre sind.
In der Taxonomie lebender Geschöpfe treten diese Ablageprobleme nicht auf. Es gibt keine Tiere, die unter »Verschiedenes« fallen. Solange wir oberhalb der Artebene bleiben und solange wir nur heute lebende Tiere (oder Tiere irgendeines gegebenen »Zeithorizonts«, siehe unten) erforschen, gibt es keine störenden Überschneidungen. Wenn ein Tier unbequem dazwischenzuliegen scheint, sagen wir einmal, wenn es genau in der Mitte zwischen einem Säugetier und einem Vogel zu stehen scheint, so kann ein Evolutionsbiologe sicher sein, daß es definitiv das eine oder das andere sein muß. Das Erscheinungsbild des Dazwischenliegens muß eine Illusion sein. Der bedauernswerte Bibliothekar kennt keine solche Beruhigung. Es ist ohne weiteres möglich, daß ein Buch gleichzeitig sowohl in die Geschichts- als auch in die Biologieabteilung gehört. Kladistisch geneigte Biologen lassen sich niemals in Diskussionen des Typs ein, wie Bibliothekare sie führen, z. B. ob es »bequemer« ist, Wale als Säugetiere oder als Fische zu klassifizieren oder als Mittelding zwischen Säugetier und Fisch. Das einzige Argument, das wir haben, ist ein Faktum. In diesem Fall führen die Tatsachen alle modernen Biologen zu demselben Schluß: Wale sind Säugetiere und keine Fische, und sie sind nicht, noch nicht einmal in einem winzigen Maße,
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