Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
unbedingt auflebende Dinge angewandt werden. Nach ihren Befürwortern können die Methoden der transformierten Kladisten zur Klassifikation nicht nur von Tieren und Pflanzen, sondern auch von Steinen, Planeten, Büchern in Bibliotheken und Töpfen aus dem Bronzezeitalter verwendet werden. Mit anderen Worten, sie würden dem nicht zustimmen, was ich in meinem Vergleich mit einer Bibliothek verdeutlichen wollte, daß nämlich die Evolution die einzige solide Grundlage für eine alle anderen ausschließende hierarchische Klassifikation ist.
Die Durchschnittsabstandsmesser messen, wie wir gesehen haben, wie weit jedes Tier von jedem anderen Tier entfernt ist; »weit« bedeutet »ähnelt nicht«, und »nahe« bedeutet »ähnelt«. Erst nachdem sie eine Art von aufaddiertem Durchschnittsindex der Ähnlichkeit errechnet haben, beginnen sie damit, ihre Resultate in Form einer sich verzweigenden Haufen-innerhalb-von-Haufen-Hierarchie oder eines Baumdiagramms zu interpretieren. Die transformierten Kladisten jedoch stellen, wie die echten Kladisten, die sie einmal waren, das Denken in Haufen oder Verzweigungen an den Anfang. Wie echte Kladisten würden sie damit beginnen, zumindest im Prinzip, alle möglichen sich zweiteilenden Bäume aufzumalen und dann den besten auszusuchen.
Aber worüber reden sie tatsächlich, wenn sie jeden möglichen »Baum« in Betracht ziehen, und was meinen sie mit dem besten? Welchem hypothetischen Zustand der Welt entspricht jeder Baum? Für einen echten Kladisten, einen Jünger von W. Hennig, ist die Antwort klar. Jeder der 15 möglichen Bäume, die unsere vier Tiere verbinden, ist ein möglicher Stammbaum. Von allen 15 denkbaren Familienstammbäumen für die vier Tiere muß und kann nur einer korrekt sein. Die Abstammungsgeschichte der Tiere geschah ja wirklich auf der Welt. Es gibt 15 mögliche Geschichten, wenn wir die Annahme machen, daß alle Verzweigungen Gabelungen sind. Vierzehn dieser möglichen Geschichten müssen falsch sein. Nur eine kann richtig sein, kann der Geschichte entsprechen, die tatsächlich geschah. Von all den 135 135 möglichen Stammbäumen, die in acht Tieren gipfeln, müssen 135 134 falsch sein, nur einer bildet die historische Wahrheit ab. Es mag nicht einfach sein, mit Gewißheit zu wissen, wer der korrekte ist, aber der echte Kladist kann wenigstens sicher sein, daß nicht mehr als einer korrekt ist.
Aber was entspricht den 15 (oder 135 135 oder wie vielen sonst) möglichen Bäumen und dem einen korrekten Baum in der nichtevolutionären Welt des transformierten Kladisten? Eigentlich nichts, wie mein Kollege und früherer Schüler Mark Ridley in seinem Buch Evolution and Classification aufgezeigt hat. Der transformierte Kladist weigert sich, den Begriff der Abstammung in seine Betrachtungen eingehen zu lassen. »Vorfahre« ist für ihn ein unanständiges Wort. Aber andererseits besteht er darauf, daß die Klassifikation eine Hierarchie von Verzweigungen sein muß. Wenn die 15 (oder 135 135) möglichen hierarchischen Bäume keine Bäume der Abstammungsgeschichte sind, was um alles in der Welt sind sie dann? Es läßt sich nichts anderes machen, als aus der klassischen Philosophie irgendeine wirre, idealistische Vorstellung hervorzuholen, daß die Welt nun einmal einfach hierarchisch organisiert ist, irgendeine Vorstellung, daß alles auf der Welt sein »Gegenteil« besitzt, sein mystisches Yin oder Yang. Konkreter als das wird es nicht. In der nichtevolutionären Welt des transformierten Kladisten ist es unmöglich, überzeugende und klare Aussagen zu machen, wie etwa: »Nur einer von den 945 möglichen Bäumen, die sechs Tiere verbinden, kann richtig sein; alle anderen müssen falsch sein.«
Warum ist Vorfahr ein schmutziges Wort für den Kladisten? Es ist nicht so (hoffe ich), daß sie meinen, es habe niemals Vorfahren gegeben. Eher haben sie sich dafür entschieden, den Vorfahren in der Taxonomie keinen Platz zu geben. Das ist eine Haltung, die sich verteidigen läßt, solange die tagtägliche Praxis der Taxonomie betroffen ist. Kein Kladist zeichnet tatsächlich Vorfahren aus Fleisch und Blut auf Stammbäume, obwohl traditionelle evolutionäre Taxonomen das gelegentlich tun. Kladisten aller Schattierungen behandeln alle Beziehungen zwischen realen, beobachteten Tieren als Verwandtschaften, der Form halber. Was sehr vernünftig ist. Nicht vernünftig ist, daraus ein Tabu gegen den Begriff der Vorfahren als solchen zu machen, gegen die Verwendung der Sprache der
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