Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
macht kein Geheimnis daraus, daß er die sich verzweigenden Bäume oder »Kladogramme« als Stammbäume auffaßt, als Bäume also, die nahe evolutionäre Verwandtschaft ausdrücken.
Im Extrem könnte die Besessenheit von solchen Gabelbäumen sonderbare Resultate zeitigen. Es ist theoretisch möglich, daß eine Art in jedem Detail einem entfernten Verwandten sehr ähnlich ist, aber von einem engeren Verwandten außerordentlich verschieden ist. Nehmen wir zum Beispiel an, daß zwei sehr ähnliche Fischarten, Jakob und Esau genannt, vor 300 Millionen Jahren gelebt haben. Beide Arten gründeten Dynastien von Nachfolgern, die bis heute Bestand haben. Esaus Nachkommen stagnierten. Sie lebten weiter in der Tiefsee, aber machten keine Evolution durch. Im Ergebnis sieht ein rezenter Nachkomme von Esau im wesentlichen Esau genau gleich und daher auch Jakob sehr ähnlich. Jakobs Nachkommen entwickelten und verbreiteten sich. Im Laufe der Zeit entstanden aus ihnen alle rezenten Säugetiere. Aber eine Abstammungslinie von Jakobs Nachkommen stagnierte ebenfalls in der Tiefsee und hinterließ ebenfalls rezente Abkömmlinge. Diese rezenten Abkömmlinge sind Fische und Esaus rezenten Nachkommen so ähnlich, daß es schwer ist, sie auseinanderzuhalten.
Wie nun sollen wir diese Tiere klassifizieren? Der traditionelle evolutionäre Taxonom würde die große Ähnlichkeit zwischen den primitiven Tiefseenachkommen von Jakob und Esau erkennen und sie zusammenfassen. Der strenge Kladist könnte das nicht. Die Tiefseenachkommen von Jakob, gleichgültig, wie sehr sie den Tiefseenachkommen Esaus ähnlich sehen, sind nichtsdestoweniger nähere Verwandte der Säugetiere. Der gemeinsame Vorfahr von ihnen und den Säugetieren lebte vor weniger langer Zeit, wenn auch nur wenig später als der gemeinsame Vorfahr von ihnen und Esaus Nachkommen. Sie müssen daher mit den Säugetieren zusammen klassifiziert werden. Das mag seltsam erscheinen, aber ich persönlich kann es mit Gleichmut hinnehmen. Es ist wenigstens außerordentlich logisch und klar. Es ist nun einmal so, daß sowohl Kladismus als auch evolutionäre Taxonomie ihre Verdienste haben, und es ist mir ziemlich gleichgültig, wie die Forscher Tiere klassifizieren, solange sie mir deutlich sagen, wie sie es tun.
Wenden wir uns nun der anderen wichtigen Denkschule zu, den reinen Ahnlichkeitsmessern. Auch sie spalten sich in zwei Untergruppen auf. Beide Unterschulen sind sich darin einig, Gedanken an die Evolution zu verbannen, solange sie sich mit Taxonomie befassen. Aber sie sind sich nicht einig darin, wie sie bei ihrer alltäglichen Taxonomie vorgehen sollen. Die eine Unterschule dieser Taxonomen wird gelegentlich als »Phänetiker« bezeichnet und manchmal als »numerische Taxonomen«. Ich werde sie »Durchschnittsabstandsmesser« nennen. Die andere Schule der Ahnlichkeitsmesser bezeichnet sich selbst als »transformierte Kladisten«. Das ist ein trügerischer Name, denn sie sind gerade keine Kladisten! Kladistik ist von Julian Huxley klar und unzweideutig im Sinn evolutionärer Verzweigung und evolutionärer Vorfahren definiert. Da das Hauptziel der »transformierten Kladisten« jedoch darin besteht, alle Begriffe von Evolution und Abstammung zu vermeiden, können sie sich selbst vernünftigerweise nicht Kladisten nennen. Der Grund, weshalb sie es dennoch tun, ist historischer Natur: Sie begannen als echte Kladisten und behielten einige der Methoden der Kladisten bei, gaben jedoch deren zugrundeliegende Philosophie und logische Grundlage auf. Ich glaube, es bleibt mir nichts anderes übrig, als sie wirklich transformierte Kladisten zu nennen, obgleich ich es ungern tue.
Die Durchschnittsabstandsmesser weigern sich nicht nur, die Evolution in ihrer Taxonomie anzuwenden (obwohl sie alle an Evolution glauben). Sie sind auch insofern konsequent, als sie nicht einmal annehmen, daß das Ähnlichkeitsmuster unbedingt eine Hierarchie einfacher Gabelungen ist. Sie versuchen Methoden anzuwenden, die ein hierarchisches Muster freilegen werden, wenn es wirklich da ist, aber nicht, wenn es nicht da ist. Sie versuchen die Natur zu fragen, ob sie wirklich hierarchisch organisiert ist. Das ist keine einfache Aufgabe, und es ist wahrscheinlich korrekt zu sagen, daß es keine verfügbare Methode gibt, dieses Ziel zu erreichen. Immerhin scheint es im Einklang mit dem lobenswerten Bemühen, Vorurteile zu vermeiden. Die Methoden dieser Taxonomen sind oft recht kompliziert und mathematisch und für die
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