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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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mitunter an erblich schwarzen Kindern sieht, die in Skandinavien leben. Das braune Pigment Melanin, das unter dem Einfluß des Sonnenlichts synthetisiert wird, bildet einen Film, der die darunterliegenden Gewebe vor den schädlichen Effekten weiteren Sonnenlichts schützt. Wenn eine sonnengebräunte Person sich in ein weniger sonniges Klima begibt, so verschwindet das Melanin, und der Körper ist in der Lage, das bißchen Sonne auszunützen, das er dort bekommt - was sich als ein Fall des Prinzips von Benutzung und Nichtbenutzung darstellen läßt: Haut wird braun, wenn sie »benutzt« wird, und bleicht aus, wenn sie nicht »benutzt« wird. Natürlich haben einige tropische Rassen einen erblich dicken Melaninschild, gleichgültig, ob sie als Individuen dem Sonnenlicht ausgesetzt sind oder nicht.
    Wenden wir uns nun dem anderen Hauptprinzip des Lamarckismus zu, dem Gedanken, daß solche erworbenen Merkmale dann von zukünftigen Generationen ererbt werden. Alle Beweise deuten darauf hin, daß diese Idee ganz einfach falsch ist, aber die längste Zeit in der Geschichte galt sie als richtig. Lamarck erfand sie nicht, er baute lediglich die Volksweisheit seiner Zeit aus. In manchen Kreisen glaubt man heute noch daran. Meine Mutter hatte einen Hund, der gelegentlich den Hinkefuß spielte, ein Hinterbein hochhielt und auf den anderen dreien humpelte. Unsere Nachbarin hatte einen älteren Hund, der leider ein Hinterbein bei einem Autounfall verloren hatte. Diese Nachbarin war überzeugt, daß ihr Hund der Vater des Hundes meiner Mutter sein mußte, weil der ja offensichtlich sein Bein geerbt hatte. Volksweisheit und Märchen sind voll von ähnlichen Legenden. Viele Leute glauben an die Vererbung erworbener Merkmale oder würden gern daran glauben. Bis zur Jahrhundertwende war es auch die herrschende Vererbungstheorie unter seriösen Biologen. Darwin selbst glaubte auch an sie, aber sie war nicht Teil seiner Evolutionstheorie, so daß wir seinen Namen nicht mit ihr verbinden.
    Wenn man die Vererbung erworbener Merkmale mit dem Prinzip der Benutzung und Nichtbenutzung vermengt, so erhält man etwas, das wie ein brauchbares Rezept für evolutionäre Verbesserung aussieht. Dieses Rezept wird gewöhnlich als Lamarcksche Evolutionstheorie bezeichnet. Wenn aufeinanderfolgende Generationen ihre Füße härter werden lassen, indem sie barfuß über unebenen Boden laufen, so wird jede Generation, sagt die Theorie, geringfügig härtere Haut haben als die Generation davor. Jede Generation gewinnt einen Vorteil gegenüber der vorhergehenden. Am Ende werden Babys bereits mit harten Füßen geboren (was tatsächlich geschieht, nur aus anderen Gründen, wie wir sehen werden). Wenn aufeinanderfolgende Generationen in der tropischen Sonne sonnenbaden, so werden sie immer brauner werden, da, entsprechend der lamarckistischen Theorie, jede Generation einen Teil der Sonnenbräune der vorhergehenden Generation erbt. Mit der Zeit werden sie schwarz geboren (was wiederum in der Tat geschieht, aber nicht aus lamarckistischen Gründen).
    Legendäre Beispiele sind die Arme des Schmieds und der Hals der Giraffe. In Dörfern, in denen der Schmied sein Handwerk von seinem Vater, Großvater und Urgroßvater erbte, nahm man an, daß er auch die gut durchtrainierten Muskeln seiner Vorväter erbte. Und nicht nur das, er verbesserte sie auch durch seine eigene Tätigkeit weiter und gab die Verbesserungen an seinen Sohn weiter. In Vorzeiten lebende Giraffen mit kurzen Hälsen versuchten verzweifelt, an Blätter hoch oben in Bäumen zu gelangen. Sie streckten sich mächtig nach oben und dehnten damit Halsmuskeln und Knochen. Jede Generation erwarb so einen geringfügig längeren Hals als die vorausgehende und reichte ihren Vorsprung an die nächste Generation weiter. Nach der reinen lamarckistischen Theorie folgt jeder evolutionäre Fortschritt diesem Muster. Das Tier strebt nach etwas, das es braucht. Infolgedessen werden die dafür benutzten Teile des Körpers größer oder verändern sich in eine geforderte Richtung. Die Veränderung wird von der nächsten Generation ererbt, und so geht der Vorgang weiter. Diese Theorie hat den Vorteil, daß sie kumulativ ist - ein wesentlicher Bestandteil jeder Evolutionstheorie, die ihre Rolle in unserer Weltsicht erfüllen soll, wie wir gesehen haben.
    Die lamarckistische Theorie scheint für einen gewissen Typ von Intellektuellen und auch für Laien emotional sehr anziehend zu sein. Einmal wurde ich von einem Kollegen

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