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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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meinen Wanderungen durch die entfernten Gefilde des Landes der Biomorphe erhielt ich Feenkrabben, Aztekentempel, gotische Kirchenfenster, Eingeborenenzeichnungen von Känguruhs und, bei einer bemerkenswerten, aber nicht wiederholbaren Gelegenheit, eine passable Karikatur des Wykeham-Professors für Logik. In Abb. 5 ist eine weitere kleine Auswahl aus meiner Trophäensammlung wiedergegeben, die ich alle auf die gleiche Weise erhalten habe. Ich betone, daß diese Formen keine künstlerischen Impressionen sind. Sie sind in keiner Weise retouchiert oder zurechtgedoktert worden, sondern bis ins kleinste Tüpfelchen genau so, wie sie der Computer zeichnete, als sie sich in ihm entwickelten. Die Rolle des menschlichen Auges blieb darauf beschränkt, während vieler Generationen kumulativer Evolution unter zufällig mutierten Nachkommen eine Auslese zu treffen.
     

     
    Abb. 5
     
    Wir haben jetzt ein sehr viel realistischeres Modell der Evolution als das der Shakespeare tippenden Affen. Aber das Biomorphmodell ist immer noch mangelhaft. Es zeigt uns die Macht der kumulativen Selektion bei der Erzeugung einer fast endlosen Vielfalt von quasibiologischen Formen, aber es bedient sich der künstlichen Auslese, nicht der natürlichen. Das menschliche Auge nimmt die Auslese vor. Könnten wir eventuell auf das menschliche Auge verzichten und den Computer selbst, nach irgendeinem, biologisch gesehen, realistischen Kriterium, die Auslese treffen lassen? Das ist schwieriger, als es aussieht. Und es lohnt sich, etwas Zeit darauf zu verwenden, zu erklären, warum das so ist.
    Es ist kinderleicht, zugunsten einer speziellen genetischen Formel auszulesen, solange man die Gene aller Tiere lesen kann. Doch die natürliche Auslese sortiert Gene nicht direkt aus, sie wählt die Effekte aus, die Gene auf Körper haben und die man mit dem technischen Ausdruck phänotypische Effekte bezeichnet. Das menschliche Auge taugt zur Auswahl phänotypischer Effekte, wie die zahlreichen Hunde-, Rinderund Taubenrassen beweisen und wie (wenn ich dies sagen darf) auch Abb. 5 zeigt. Um den Computer dazu zu veranlassen, phänotypische Effekte direkt auszuwählen, müßten wir ein sehr kompliziertes Muster-Erkennungsprogramm schreiben. Muster-Erkennungsprogramme gibt es. Sie werden zum Lesen von Druckschrift und sogar von Handschrift benutzt. Aber es sind schwierige, hochmoderne Programme, für die sehr große und schnelle Computer nötig sind. Selbst wenn ein solches Muster-Erkennungsprogramm im Bereich meiner Programmierungsmöglichkeiten und im Kapazitätsbereich meines kleinen 64-Kilobyte-Computers läge, würde ich mich nicht damit abquälen. Das ist eine Aufgabe, die vom menschlichen Auge zusammen mit - und hier kommen wir der Sache näher - dem 10-Giganeuronencomputer im menschlichen Schädel erledigt wird.
    Es wäre nicht übermäßig schwierig, den Computer nach ungefähren, allgemeinen Merkmalen wie, sagen wir, GrößeSchlankheit, Kürze-Dicke auslesen zu lassen, vielleicht auch noch nach Gekrümmtheit, Spitzheit, sogar Rokokoverzierung. Eine der Methoden wäre, den Computer so zu programmieren, daß er sich an die Merkmale erinnert, die die Menschen in der Vergangenheit begünstigt haben, und daß er eine fortgesetzte Auslese in derselben allgemeinen Richtung auch in Zukunft vornimmt. Aber das bringt uns einer Simulation der natürlichen Auslese kein bißchen näher. Der springende Punkt ist, daß die Natur zum Treffen ihrer Auslese keines Computers bedarf, außer in Sonderfällen, etwa wenn Pfauenhennen Pfauenmännchen auswählen. In der Natur ist das gewöhnlich auslesende Agens direkt, streng und einfach. Es ist der grimmige Sensenmann. Natürlich sind die Gründe für das Überleben alles andere als einfach - deswegen kann die natürliche Auslese Tiere und Pflanzen von derart gewaltiger Komplexität aufbauen. Aber der Tod selbst ist etwas sehr Rohes und Einfaches. Und nichtzufälliger Tod ist das einzige, was die Natur braucht, um Phänotypen auszulesen und damit die in ihnen enthaltenen Gene. Wenn wir im Computer die natürliche Auslese interessant simulieren wollen, so sollten wir Rokokoverzierungen und alle anderen visuellen Merkmale vergessen. Statt dessen sollten wir uns darauf konzentrieren, den nichtzufälligen Tod zu simulieren. Die Biomorphe sollten im Computer mit der Simulation einer feindlichen Umwelt in Wechselwirkung stehen. Ein Detail ihrer Gestalt sollte den Ausschlag dafür geben, ob sie in jener Umwelt überleben oder nicht.

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