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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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die genetische Formel nieder, und jetzt kann ich die »Evolution« von Insekten hervorbringen, wann immer ich will.
    Ja, ich übertreibe das Drama ein wenig, aber Spaß beiseite, es geht um ein wichtiges Argument. Der springende Punkt ist, daß ich zwar den Computer programmiert hatte, ihm gesagt hatte, was er tun sollte, daß ich aber dessen ungeachtet nicht die entstandenen Tiere geplant hatte und daß ich völlig überrascht war, als ich ihre Vorläufer das erste Mal sah. Ich war so machtlos, die Evolution zu steuern, daß es sich fast als unmöglich erwies, einen speziellen Evolutionspfad wieder aufzuspüren, als ich ihn mit allen Fasern meines Herzens suchte. Ich glaube nicht, daß ich meine Insekten jemals wiedergefunden hätte, wenn ich nicht einen Ausdruck des kompletten Satzes ihrer Vorläufer in der Evolution besessen hätte, und selbst so war es schwierig und langwierig. Scheint die Machtlosigkeit des Programmierers, den Lauf der Evolution im Computer zu steuern oder vorauszusagen, paradox? Heißt das, daß irgend etwas Geheimnisvolles, ja sogar Mystisches, im Innern des Computers vor sich geht? Natürlich nicht. Ebensowenig wie irgend etwas Mystisches an der Evolution echter Tiere und Pflanzen beteiligt ist. Wir können vielmehr den Computer dazu benutzen, das Paradox zu lösen, und dabei etwas über die reale Evolution lernen.
    Um es vorwegzunehmen: Der Kern der Lösung des Paradoxons ist, wie sich zeigen wird, folgendes: Es gibt einen bestimmten Satz von Biomorphen, von denen jedes ständig an seinem eigenen einzigartigen Ort in einem mathematischen Raum sitzt. Er sitzt dort fortwährend in dem Sinne, daß man ihn unverzüglich finden könnte, wenn man nur seine genetische Formel wüßte. In dieser besonderen Art von Raum sind seine Nachbarn die Biomorphe, die sich durch nur ein einziges Gen von ihm unterscheiden. Jetzt, wo ich die genetische Formel meiner Insekten kenne, kann ich sie nach Wunsch reproduzieren, und ich kann dem Computer befehlen, sich von einem willkürlichen Ausgangspunkt aus auf sie hin »zu entwickeln«. Wenn man im Computer zum ersten Mal eine neue Kreatur durch künstliche Auslese entwickelt, so kommt es einem wie ein schöpferischer Vorgang vor. Und das ist es ja auch. Tatsächlich jedoch findet man die Kreatur nur, denn sie sitzt, in mathematischem Sinne, bereits an ihrem eigenen Ort im genetischen Raum des Landes der Biomorphe. Der Grund für den echt schöpferischen Vorgang ist, daß das Auffinden irgendeiner speziellen Kreatur außerordentlich schwierig ist; einfach und ausschließlich deshalb, weil das Land der Biomorphe sehr, sehr groß ist und die Gesamtzahl der dort sitzenden Kreaturen beinahe unendlich. Es ist nicht praktikabel, einfach ziellos und aufs Geratewohl herumzusuchen. Man muß ein leistungsfähigeres - und schöpferisches - Suchverfahren benutzen.
    Einige Leute glauben zuversichtlich, daß Schachcomputer in ihrem Innern alle möglichen Kombinationen von Schachzügen ausprobieren. Sie empfinden das als tröstlich, wenn ein Computer sie besiegt, aber ihr Glaube ist ganz und gar falsch. Es gibt bei weitem zu viele mögliche Schachzüge: der Suchraum ist Milliarden mal zu groß, als daß blindes Herumtaumeln zum Erfolg führen könnte. Die Kunst, ein gutes Schachprogramm zu schreiben, besteht darin, sich effiziente Abkürzungen durch den Suchraum auszudenken. Kumulative Auslese - ob künstliche Auslese wie im Computer oder natürliche Auslese draußen in der realen Welt - ist ein leistungsfähiges Suchverfahren, und seine Konsequenzen sehen stark nach schöpferischer Intelligenz aus. Darum ging es schließlich auch bei William Paleys Gottesbeweis aus der Zweckmäßigkeit. Technisch gesehen tun wir, wenn wir das Spiel der Computerbiomorphe spielen, nichts anderes als Tiere zu finden, die in mathematischem Sinn darauf warten, gefunden zu werden. Es sieht wie ein künstlerischer Schöpfungsvorgang aus. Doch Suchen in einem kleinen Raum, wo sich nur ein paar Gebilde aufhalten, erscheint uns gewöhnlich nicht schöpferisch. Das Spiel, in dem Kinder erraten, unter welchem Becher sich ein Würfel befindet, kommt uns nicht schöpferisch vor. Dinge aufs Geratewohl herumdrehen und hoffen, daß man über den gesuchten Gegenstand stolpert, funktioniert gewöhnlich nur, wenn der zu durchsuchende Raum klein ist. Je größer der Suchraum wird, um so kompliziertere Suchverfahren sind erforderlich. Wenn der Suchraum hinreichend groß ist, sind wirksame Suchverfahren von echter

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