Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
verzweigen! Alle auf der Seite abgebildeten Kreaturen stammen von dem Punkt ab; allerdings habe ich, um zu verhindern, daß die Seite zu voll wurde, nicht alle Abkommen abgebildet, die ich tatsächlich gesehen habe. Ich habe jeweils nur das erfolgreiche Kind jeder Generation (d. h. den Elter der nächsten Generation) sowie ein oder zwei seiner nicht erfolgreichen Schwestern abgebildet. So zeigt das Bild im wesentlichen nur diese eine durch meine ästhetische Auslese gelenkte Hauptlinie der Evolution. Alle Stadien in der Hauptlinie sind vollständig angeführt.
Befassen wir uns kurz mit den ersten paar Generationen der Hauptevolutionslinie in Abb. 4. Der Punkt wird in Generation 2 zu einem Y. In den nächsten beiden Generationen wird das Y größer. Dann beginnen sich die Zweige, wie bei einer einfachen Steinschleuder (Zwille), leicht zu krümmen. In Generation 7 verstärkt sich die Krümmung, so daß sich die beiden Zweige fast treffen. In Generation 8 werden die gekrümmten Zweige größer, und jeder von ihnen erhält eine Reihe von kleinen Fortsätzen. Diese Fortsätze gehen in Generation 9 wieder verloren, aber der Stiel der Schleuder wird länger. Generation 10 sieht wie ein Querschnitt durch eine Blüte aus, die gekrümmten Seitenzweige ähneln Blütenblättern, die einen zentralen Fortsatz oder das »Stigma« umschließen. In Generation 11 ist dieselbe »Blüten«form größer und etwas komplizierter geworden.
Ich möchte die Darstellung jetzt nicht fortführen, denn das Bild spricht für sich selbst, die ganzen 29 Generationen hindurch. Man beachte, wie jede Generation sich nur wenig von ihrem Elter und von ihren Geschwistern unterscheidet. Da jede Generation, verglichen mit ihrem Elter, nur ein wenig anders ist, erwartet man auch, daß jede Generation, im Vergleich zu ihren Großeltern (und Enkeln), nur geringfügig verschiedener ist, und noch etwas verschiedener von ihren Urgroßeltern (und Urenkeln). Genau darum geht es bei der kumulativen Evolution, auch wenn wir, wegen unserer hohen Mutationsrate, die Dinge hier unrealistisch beschleunigt haben. Aus diesem Grunde sieht Abb. 4 eher wie ein Stammbaum von Arten aus als wie ein Stammbaum von Individuen, aber das Prinzip ist das gleiche.
Als ich das Programm schrieb, kam mir niemals der Gedanke, daß es etwas anderes entwickeln könnte als eine Varietät von baumähnlichen Gestalten. Ich hatte Trauerweiden erhofft, Libanonzedern, Pyramidenpappeln, Meeresalgen, vielleicht Hirschgeweihe. Nichts in meiner Intuition als Biologe, nichts in meiner 20jährigen Erfahrung im Programmieren von Computern, und nichts in meinen verrücktesten Träumen hatte mich auf das vorbereitet, was tatsächlich auf dem Bildschirm erschien. Ich kann mich nicht daran erinnern, an welchem Punkt der Sequenz es mir zu dämmern begann, daß eine durch Evolution entstandene Ähnlichkeit mit einem Insekt möglich war. Voller Argwohn begann ich zu züchten, Generation auf Generation - und von jedwedem Kind, das am meisten wie ein Insekt aussah. Mein ungläubiges Erstaunen wuchs in gleichem Maße wie die sich entwickelnde Ähnlichkeit. Der Leser erkennt die sich schließlich ergebenden Resultate in Abb. 4 unten. Ich gebe zu, sie haben acht Beine wie eine Spinne, statt sechs Beine wie ein Insekt, aber sei es drum! Ich spüre immer noch das Triumphgefühl, das mich erfüllte, als ich diese sonderbaren Kreaturen zum ersten Mal vor meinen Augen entstehen sah. Ganz deutlich hörte ich die triumphierenden ersten Akkorde von Also sprach Zarathustra (dem Thema zum Film 2001) in meinem Geist. Ich konnte nicht essen, und in jener Nacht schwärmten »meine« Insekten hinter meinen Augenlidern herum, als ich zu schlafen versuchte.
Es gibt Computerspiele auf dem Markt, wo der Spieler glaubt, in einem unterirdischen Labyrinth herumzuirren, das eine bestimmte, wenn auch komplexe Geographie besitzt, und wo er auf Drachen, menschenfressende Ungeheuer und andere mythische Gegner trifft. In diesen Spielen gibt es zahlenmäßig recht wenige Monster. Sie sind alle von einem menschlichen Programmierer entworfen, ebenso die Geographie des Labyrinths. Im Evolutionsspiel, sei es nun in der Computerversion oder in der Wirklichkeit, hat der Spieler (oder Beobachter) dasselbe Gefühl, als wandere er, bildlich gesprochen, durch ein Labyrinth sich verzweigender Gänge, aber die Zahl möglicher Wege ist nahezu unendlich, und die Monster, auf die man trifft, sind nicht von Menschen gemacht und nicht vorhersagbar. Bei
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